Internationale Wochen gegen Rassismus

Die diesjährigen Aktionswochen finden vom 15. – 28. März 2021 statt. Das Motto in diesem Jahr ist: „Solidarität. Grenzenlos.“.

Der Flüchtlingsrat veranstaltet im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus am 27.03.2021 einen Workshop mit dem Titel: „Heterogene Bündnisse im Kontext von Flucht und Migration: Eine Utopie? – Heterogeneous Alliances in the Context of Flight and Migration: A Utopia?“. Auch kurzfristig sind Anmeldungen noch möglich.

Rassismus ist, wenn…

Wir haben aktuelle Themen unserer Arbeit im Kontext von Diskriminierung und Rassismus zusammengefasst und zeigen Widersprüche, drastische Schieflagen und deren Zusammenhang zu strukturellem Rassismus auf: Rassismus ist, wenn…

Rassismus ist, wenn es keinen gleichberechtigten Zugang zu Arbeit und Ausbildung gibt und Geflüchteten auf dem Weg in ein Bleiberecht systematisch Steine in den Weg gelegt werden.

Mehrere Anläufe hat ein junger Mann, der aus Gambia floh und nun in Potsdam-Mittelmark untergebracht ist, unternommen, um eine Ausbildung aufzunehmen. Nachdem er eine Einstiegsqualifizierung erfolgreich absolviert hatte, wollte er zuletzt im September 2020 eine Ausbildung zum Fachlageristen beginnen. Die Ausländerbehörde aber verweigerte hartnäckig die Erteilung einer Ausbildungsduldung, da er keinen Pass vorlegen konnte. Den Ausbildungsbeginn verpasste er – obwohl der Brandenburgische Betrieb ihn dringend gebraucht hätte.
Erst das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg setzte dem Warten und der monatelangen Behörden-Odyssee im März 2021 im Rahmen einer einstweiligen Anordnung ein Ende. Es ordnete die Erteilung einer Ausbildungsduldung an. Die Behörde hätte ihr Ermessen ausüben und zumindest zumutbare Handlungen an die Mitwirkungspflicht konkretisieren müssen. ​​​Mehr dazu gibt es hier.

Rassismus ist, wenn Deutschland Menschen nach Afganistan, das gefährlichste Land der Welt, abschiebt und diese menschliche Tragödie als Maßnahme gegen ein angebliches Vollzugsdefizit verharmlost.

Am 9. Februar 2021 fand die mittlerweile 36. Sammelabschiebung nach Afghanistan statt. Auch Brandenburg hat sich erneut an der Abschiebung ins Kriegsgebiet beteiligt. Ahmad N. wurde am Morgen der Abschiebung völlig überraschend aus seiner Unterkunft abgeholt und nach Kabul abgeschoben. Er wurde dabei zwangsweise und unter Gewaltanwendung einem Corona-Test unterzogen. Herr N. ist in Afghanistan ausgebildeter Sanitäter und hätte auch in Deutschland gern als solcher gearbeitet – gerade in Zeiten der Pandemie. Trotz Bemühungen zur Arbeitsaufnahme galt er als sog. „Integrationsverweigerer“ und wurde als solcher abgeschoben in ein Land, in dem er sich nun ohne familiäre Anbindung und Jobperspektive sowie von regelmäßigen Anschlägen bedroht wiederfindet. Der Flüchtlingsrat berichtete.

Rassismus ist, wenn durch die Zwangsunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften während einer Pandemie das Leben und die Gesundheit von Menschen aufs Spiel gesetzt werden. 

 

Im November 2020 hatte Frau Elzurkhaeva, 74 Jahre alt und an einer schweren Herz-Kreislauferkrankung leidend, einen Antrag auf geeignete Unterbringung außerhalb der Sammelunterkunft in Nauen gestellt. Aufgrund ihres Alters und der Vorerkrankung hatte sie Angst, sich als Person mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf in der Sammelunterkunft mit Corona anzustecken und schwer zu erkranken. Der Auszugsantrag aber wurde mündlich abgelehnt. Das Sozialamt könne die Kosten nicht übernehmen. Kurze Zeit später, am 11. Dezember 2020, erlag Frau Elzurkhaeva den Folgen ihrer Corona-Erkrankung. In der Nauener Unterkunft, in der sie sich höchstwahrscheinlich infizierte, war sie offensichtlich nicht ausreichend geschützt. Der Flüchtlingsrat berichtete.

Rassismus ist, wenn Menschen ihre Corona-Quarantäne schlecht versorgt in Baucontainern verbringen müssen und das Gefühl, sich in einem Gefängnis zu befinden, sie zur Verzweiflung treibt.

Geflüchtete, die in der Erstaufnahme in Brandenburg ankommen, müssen in Containern eine Eingangsquarantäne durchlaufen. Rasha S. wendete sich im November 2020 verzweifelt an den Flüchtlingsrat: Bäder und Zimmer müssen sich die Geflüchteten mit anderen teilen, sodass ihre Quarantäne wegen eines positiv getesteten Falles verlängert wurde. Sie berichtete von dreckigen Badezimmern, überquellenden Mülleimern, Unterversorgung, schlechtem Essen, unfreundlichen Sozialarbeitenden und ihrer nächtlichen Angst davor, jemand könne in ihr Zimmer eindringen. Rasha S. erleidet eine Panikattacke. Der Arzt im Krankenhaus empfiehlt eine schnellstmögliche Entlassung aus der Erstaufnahme und befürchtet eine Suizidgefährdung. Nach Rückkehr in die Erstaufnahme muss Frau S. für weitere drei Tage in Quarantäne bleiben. Sie bat den Flüchtlingsrat, ihre E-Mail zu veröffentlichen.

Rassismus ist, wenn in der Corona-Absonderungshaft nur Menschen „nicht-deutscher Herkunft“ inhaftiert sind.

Im Februar diesen Jahres wurde bekannt, dass in der ehemaligen Haftanstalt in Eisenhüttenstadt ausschließlich „Menschen nicht-deutscher Herkunft“ wegen Verstoßes gegen Quarantänemaßnahmen inhaftiert worden sind. Seit Einführung der Zwangsquarantäne im vergangenen Jahr äußerte der Flüchtlingsrat die Befürchtung, dass Bewohner*innen von Sammelunterkünften für Geflüchtete aufgrund ihrer stark kontrollierten Wohnsituation überproportional von der freiheitsentziehenden Maßnahme nach dem Infektionsschutzgesetz betroffen sein könnten. Diese Befürchtung hat sich nun bewahrheitet. Dass Behörden kein Problem damit haben, willkürliche Haftandrohungen gegen Geflüchtete auszusprechen, zeigte eine Aussage der Kreissprecherin Andrea Metzler des Landkreises Potsdam-Mittelmark im letzten Sommer: Sie drohte öffentlich damit, Geflüchtete, die gegen die Unterversorgung in Quarantäne protestierten, als „Aufrührer“ in Gewahrsam zu nehmen.

Rassismus ist, wenn AHA-Regeln Infektionsketten verhindern sollen und gleichzeitig Geflüchtete in Massenunterkünften in wochenlanger Kettenquarantäne ausharren müssen, weil sie sich auf beengtem Raum nicht schützen können.

 

In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Corona-Großausbrüchen in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete in Brandenburg. Anstatt zu entzerren, wurden ganze Unterkünfte zum Teil für mehrere Wochen unter Quarantäne gestellt. Corona-Infizierte waren gemeinsam mit gesunden Menschen untergebracht. Kettenquarantänen sind psychisch zermürbend, Geflüchtete berichteten von Unterversorgung und Unsicherheiten auf Grund mangelnder mehrsprachiger Informationen. Fehlendes WLAN führte dazu, dass der Zugang zu Bildung für Kinder und Heranwachsende über lange Zeiträume nicht gegeben war. Betroffene aus den Gemeinschaftsunterkünften in Hennigsdorf und Stanhsdorf wandten sich im letzten Jahr an die Öffentlichkeit. Aktuelle Vollquarantänen von Gemeinschaftsunterkünften in Brandenburg werfen die Frage auf, warum es kaum Bemühungen und Strategien gibt, geflüchtete Menschen effektiv und nachhaltig vor Infektionen zu schützen.

Rassismus ist, wenn ein Staat, der innerhalb von kürzester Zeit 200.000 deutsche Tourist:innen aus dem Urlaub zurückholt, die humanitär gebotene Aufnahme von Schutzsuchenden aus den Elendslagern der griechischen Inseln und aus Bosnien aber blockiert. 

Im Herbst 2020 brannte das Camp Moria in Griechenland, im Winter das Camp Lipa im Nordwesten Bosniens. Die Folge war die Obdachlosigkeit von über 10.000 Geflüchteten in Griechenland und mehr als 1000 Menschen in Bosnien. Die meisten der in Bosnien-Herzegowina gestrandeten Schutzsuchenden befanden sich bereits in der EU, sie wurden allerdings von kroatischen Grenzpolizist*innen nach Bosnien zurück geprügelt. Seit Jahren sind an der bosnisch-kroatischen Grenze Pushbacks, die mit äußerster Brutalität durchgeführt werden und gegen internationales und europäisches Recht verstoßen, an der Tagesordnung.

Angesichts dieser Zahlen und der humanitär unhaltbaren Situation in den Elendslagern sind die 60 Geflüchteten, die Brandenburg aus Griechenland über ein Sonderaufnahmeprogramm aufgenommen hat, ein Feigenblatt. Die Aufnahme aus Bosnien lehnt das Bundesinnenministerium bisher ab. Neun Landkreise und Städte erklärten sich in den vergangenen Monaten in Brandenburg zu sicheren Häfen und wären zur sofortigen Aufnahme bereit. In einem bundesweiten Appell forderte der Flüchtlingsrat gemeinsam mit 140 Organisationen den Stopp der Pushbacks und die Aufnahme der Schutzsuchenden.

Rassismus ist, wenn Geflüchtete jahrelang geduldet und ohne jede Perspektive in Deutschland verharren müssen, ihnen Bleibeperspektiven systematisch verweigert werden und dieser Druck zu enormen Überlastungen und Frustrationen führt.

Salah Tayyar, ein Geflüchteter aus dem Tschad, starb am 11. März 2021 in Eberswalde im Landkreis Barnim durch Suizid. Über eine lange Zeit, war er durch das deutsche Asylsystem enorm psychisch belastet. Fast acht Jahre lebte er ohne Perspektive auf einen sicheren Aufenthalt in Deutschland.

Insgesamt 5640 Geflüchtete waren zum Stichtag 31.12.2019 in Brandenburg geduldet. Sie alle stehen unter einem außerordentlichem Druck aufgrund einer unsicheren Bleibeperspektive, die ihnen in einem rassistischen System viel zu häufig verwehrt bleibt.

Wir erklären unsere volle Solidarität mit allen Geduldeten, und insbesondere der Familie und den Freund*innen von Salah Tayyar. Hier geht es zum Bericht über die Demonstration in Gedenken an Salah Tayyar.