In Brandenburg scheitern junge Geflüchtete immer wieder an der restriktiven Behördenpraxis, wenn es darum geht eine Ausbildungsduldung zu erhalten.

Die Zahlen sagen Folgendes:

Nach Informationen des Brandenburger Innenministerium sind zum Stichtag 31.12.2020 im Ausländerzentralregister unter anderem folgende Duldungssachverhalte gespeichert:

Ausbildungsduldung (60c)
erteilte Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 in Verbindung mit § 60c Absatz 1 AufenthG 44
erteilte Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 in Verbindung mit § 60c Absatz 7 AufenthG (das heißt keine Identitätsklärung, aber alle zumutbaren Mitwirkungshandlungen zur Identitätsklärung erfüllt) 4

(im Vergleich: erteilte Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG in V.m. § 60b Abs. 1 AufenthG – d.h. Duldung für Personen mit ungeklärter Identität: 388)

Dazu gibt es nun einen positiven Beschluss:

Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung hat das OVG Berlin-Brandenburg am 03. März 2021 beschlossen, einem jungen Geflüchteten aus Potsdam-Mittelmark eine Ausbildungsduldung zu erteilen. Das VG Potsdam hatte den Eilantrag zuvor im Oktober 2020 abgelehnt.

Der junge Mann hatte bereits eine Einstiegsqualifizierung erfolgreich absolviert, wollte dann im September 2020 die Ausbildung beginnen. Die Ausländerbehörde aber verweigerte hartnäckig die Erteilung einer Ausbildungsduldung, da er keinen Pass vorlegen konnte.
Mit dem Beschluss hat er nun endlich die Erlaubnis erhalten. Wir hoffen, dass von dem Beschluss nun auch andere Antragsteller*innen profitieren werden und sind gespannt auf das abschließende Urteil des OVG.

Das OVG hat in seinem Beschluss einige grundlegende Dinge geklärt, die ich euch und Ihnen hiermit kurz zusammengefasst wiedergeben möchte:

1. Passbeschaffung für Geflüchetete im Klageverfahren kann nicht uneingeschränkt gefordert werden.

Das Gericht stellt in seinem Beschluss fest, dass die Passbeschaffung nicht uneingeschränkt gefordert werden darf, wenn es noch keine rechtskräftige Ablehnung des Asylantrags gibt. Das heißt Geflüchtete für die Folgendes gilt, können z.B. nicht aufgefordert werden, zur Botschaft des Herkunftslandes Kontakt aufzunehmen:

  • das Asylverfahren läuft noch,
  • das Klageverfahren gegen den ablehnenden Asylbescheid läuft noch,
  • das Klageverfahren gegen den als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag läuft noch, der Eilantrag wurde vom Gericht aber schon abgelehnt.

„Die Beschwerde weist jedenfalls zu recht darauf hin, dass nach §60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Pflicht eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers, alle ihm unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen […] nicht für Ausländer ab der Stellung eines Asylantrages oder -gesuches bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages gilt, was nach dem Wortlaut der Vorschrift auch Fälle einschließt, in denen – wie hier – der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden und ein Antrag auf Eilrechtsschutz erfolglos geblieben ist (vgl. Hailbronner, AufenthG § 60b Rn. 34; s.a. Nr. 60c 2.3.4 der Anwendungshinweise des BMI vom 20. Dezember 2019).“ – zu den Anwendungshinweisen siehe unten

2. Behörde hat die Pflicht, zumutbare Mitwirkungshandlungen zu konkretisieren

Das Gericht stellt fest, wenn zumutbare Maßnahmen zur Identitätsklärung erfolgt sind, kann eine Ausbildungsduldung erteilt werden (auch ohne Passvorlage). Die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht hätten zumindest zumutbare Handlungen konkretisieren müssen. Die Behörde muss ihr Ermessen bei dieser Entscheidung ausüben und ihre Erwägungen deutlich machen.

„Die Beschwerde weist indessen zutreffend darauf hin, dass mach § 60c Abs. 7 AufenthG eine Ausbildungsduldung unbeachtlich des Absatzes 2 Nummer 3 erteilt werden kann, wenn der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat. Dies dürfte hier schon deshalb zu bejahen sein, weil weder der Antragsgegner noch das Verwaltungsgericht konkrete Vorstellungen dazu geäußert haben, welche weiteren Maßnahmen der Antragstelle, der sich immerhin um eine geburtsurkunde bzw. einen entsprechenden Registerauszug bemüht hat, zur Klärung seiner Identität hätte ergreifen können und müssen. “ und weiter..

„Das bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 60c Abs. 7 AufenthG eröffnete Ermessen hat der Antragsgegner nicht ausgeübt. […]. Tragfähige Ermessenserwägungen gegen ein Absehen vom Erfordernis der Identitätsklärung drängen sich jedenfalls nicht auf, zumal auch der Antragsgegner bisher nicht deutlich gemacht hat, dass und welche konkreten Schritte zur Klärung der Identität des Antragsstellers aus seiner Sicht erfolgsversprechend sein könnten.“

Zu den Anwendungshinweisen des BMI:

„Hierbei muss insbesondere der Umstand berücksichtigt werden, dass es Asylsuchenden während des gesamten Asylverfahrens bis zu dessen unanfechtbaren Abschluss unzumutbar ist, sich einen Pass des Herkunftsstaates zu beschaffen oder in sonstiger Weise zur Passbeschaffung mit der Auslandsver-tretung ihres Herkunftsstaates in Kontakt zu treten.“ (siehe Nr. 60c 2.3.4 der Anwendungshinweise des BMI vom 20. Dezember 2019)