Update 11.10.2022: PRO ASYL hat eine aktualisierte Stellungnahme zum Chancen-Aufenthaltsrecht, die sich auf den Gesetzesentwurf der Bundesregierung bezieht, veröffentlicht.
Hier informieren wir kurz über die vorgesehenen Änderungen zu Bleiberechtsmöglichkeiten im Rahmen des Chancen-Aufenthaltsrechts. Der Flüchtlingsrat Brandenburg arbeitet im Projekt TOGETHER WE STAY! an einer Verbesserung des Zugangs zu bestehenden Bleiberechtsmöglichkeiten insbesondere für junge Geduldete.
Die nachfolgende Übersicht orientiert sich an folgenden Stellungnahmen:
- Stellungnahme der Diakonie Deutschland zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts
- Stellungnahme zum Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts von BumF, Jugendliche ohne Grenzen und terre des hommes
- FAQ Pro Asyl
Achtung! Die meisten Stellungnahmen haben sich im Rahmen der Verbändebeteiligung auf den Referentenentwurf bezogen, und nicht auf den kurz darauf leicht verbesserten Kabinettsentwurf. Offensichtliche Änderungen sind im Folgenden jedoch berücksichtigt.
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1. Chancen-Aufenthaltsrecht (§104c AufentG-E)
- einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe als Brücke in längerfristiges Bleiberecht; für:
- Menschen mit Duldung, Aufenthaltsgestattung, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
- die sich am 01. Januar 2022 mindestens 5 Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben
- also bis zum 31.12.2016 eingereist sind
- Zeiten mit Duldung mit ungeklärter Identität (nach § 60b Abs. 5 satz 1 AufenthG. Duldung light) gelten als Voraufenthaltszeiten
- Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung
- nicht notwendig für Beantragung sind:
- Lebensunterhaltssicherung
- Identitätsklärung
- Einreise mit Visum
- In dem Jahr muss erbracht werden:
- (überwiegende) Sicherung des Lebensunterhalts
- Nachweis von Identität und Staatsangehörigkeit
- Kenntnisse der deutschen Sprache (? unklar, in welchem Umfang)
- Ausschlusskriterien:
- Straftaten mit sehr niedrigem Strafrahmen (Geldstrafen ab 50 TS und ab 90 TS bei Verstößen gegen ausländerrechtliche Vorschriften wie Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Pass oder Aufenthaltstitel)
- Personen, die bezichtigt werden, ihre Abschiebung durch Falschangaben oder Täuschung über ihre Identität zu verhindern
- Einbezug von Ehegatten, Lebensparter*innen und minderjährigen Kindern in das Aufenthaltsrecht einer Person nach §104c, die in häuslicher Gemeinschaft leben
Kritik:
- Befristung der Regelung, stichtagsabhängig, einmalige Sonderregelung
- 1 Jahr für manche zu kurz (→ wirtschaftliche Lage)
- bisher keine Brückenbildung in andere Aufenthaltstitel als §25a und §25b , z.B. Ausbildung (§§ 16-17 AufenthG), Erwerbstätigeit (§§ 18 – 21 AufenthG)
- keine Möglichkeit zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, z.B. wenn alle Schritte zur Erfüllung des Aufenthalts unternommen, und Voraussetzungen voraussichtlich erfüllt werden
- keine Härtefallregelung, z.B. bei psychischen Erkrankung, andere Erkrankungen oder Pflege von Angehörigen, insbesondere für junge Menschen, da die Entwicklung aufgrund traumatisierender Erfahrungen auf der Flucht beeinträchtigt sein kann
- Voraufenthalt sollte für alle Aufenthaltstitel gelten, bspw. auch Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums oder Familiennachzug
- Regelung gilt nicht für Illegalisierte
- Ausschluss durch Straftaten ist zu weit gefasst (weiter als z.B. bei § 25b), mehrmaliges Fahren ohne Fahrschein oder Verstoß gegen Aufenthaltsbestimmung
- Soll-Vorschrift, statt Ist-Vorschrift (Ermessen von Behörden)
- Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht ‚dem Alter und Reifegrad angemessen‘
- Versagung wegen Täuschung oder falschen Angaben in der Vergangenheit – keine Heilung möglich
Wechsel
Laut Gesetzesentwurf können die Menschen nach dem Jahr aus dem Chancen-Aufenthaltsrecht in Bleiberechtsregelungen wechseln, wenn sie die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen: in die Bleiberechtsregelung für gut integrierte Heranwachsende und Jugendliche (derzeit 14 bis 20 Jahre, Paragraf 25a AufenthG), das auch die Eltern und Geschwister umfasst, oder in die Bleiberechtsregelung für Erwachsene bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG).
Wenn die Menschen die Anforderungen nicht erfüllen, sieht der Gesetzesentwurf derzeit einen Rückfall in die Duldung vor.
2. Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende (§25a AufenthG-E)
- drei statt vier Jahren Voraufenthalt und Schulbesuch
- obere Altersgrenze von 21 Jahren auf 27 Jahre herabgesetzt
Kritik:
- Kinder unter 14 Jahren sind nicht miteinbezogen
- Soll-Vorschrift, statt Ist-Vorschrift (Ermessen von Behörden)
- Erfolgsdruck: erfolgreicher Schulbesuch oder Erwerb eines anerkannten Schul- oder Ausbildungsabschlusses, statt z.B. regelmäßiger Schulbesuch
- keine Ausnahmen von Lebensunterhaltssicherung (z.B. bei Ausbildung, Studium, Freiwilligendienst, Praktikum usw. oder bei körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung)
- Sperrwirkung bei Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet
3. Bleiberecht bei nachhaltiger Integration ( § 25b AufenthG-E)
- Reduzierung der Voraufenthaltszeiten um zwei Jahr (von 8 auf 6 Jahre für Alleinstehende, von 6 auf 4 Jahre für Familien)
Kritik:
- Lebensunterhaltssicherung bezieht sich auf gesamte Familie (benachteiligt damit Familien mit Kindern) – Ausnahmen könnten sein Bildung, Ausbildung, Qualifizierung oder Nachweis um Bemühungen um Lebensunterhaltssicherung
- Soll-Vorschrift, statt Ist-Vorschrift (Ermessen von Behörden)
Einschätzung: Etwa 135.000 Menschen in Deutschland könnten vom geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren und aus den Kettenduldungen herauskommen (diese Personen sind bereits seit 5 Jahren oder länger in D.)
Zeitplan:
- Kabinettsbeschluss liegt vor
- Bundestagsbeschluss voraussichtlich Oktober, Änderungen können dort noch eingebracht werden, vermutlich 3 Lesungen plus Anhörung
- tritt vermutlich ab Dezember 2022 in Kraft
Vorgriffsregelung: In Brandenburg gibt es eine Vorgriffsregelung zum geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht.