h6. Artikel des Flüchtlingsrat Brandenburg in der Broschüre „Hier geblieben-Recht auf Bleiberecht! Tag des Flüchtlings 2003“ von pro Asyl
„Aufgabe der Kirchen bleibt es, Flüchtlingen beizustehen, wenn ihnen der notwendige Schutz versagt wird, notfalls auch im Rahmen von Kirchenasyl.“ (1)
Dieser Beistand wurde Anfang November 2002 notwendig, als die Ausländerbehörde Oberhavel nach mehrfach erfolglosen Anläufen erneut versuchte, Herrn H. und seinen 5-jährigen Sohn abzuschieben. Herr H. ist ein ehemaliger Vertragsarbeiter, der 1990 nach Vietnam zurückkehrte und zwei Jahre später fliehen musste, da er von den dortigen Sicherheitsbehörden drangsaliert und bedroht wurde. Er hat einen fünfjährigen Sohn, den er allein erzieht.
Der Fall H. erregte großes Aufsehen im Land Brandenburg – nicht etwa, weil ein Schrei der Empörung durch die Bevölkerung ging, als man Herrn H. letzten Herbst ohne sein Kind nach Vietnam abschieben wollte, sondern weil erstmals in Brandenburg im Januar 2003 versucht wurde, ein Kirchenasyl zu brechen. Bislang waren kirchliche Räume in Brandenburg für die Polizei tabu gewesen, doch der zuständige Oranienburger Landrat wollte offensichtlich besondere Härte zeigen. Auch die privaten Räumlichkeiten des Pfarrers wurden – ohne Durchsuchungsbefehl – durchsucht. Der Flüchtlingsrat sowie die Kirchengemeinde und auch Bischof Huber sprachen deshalb bei Ministerpräsident Platzeck vor, der zusicherte, dass die Polizei in kirchliche Räume nicht mehr eindringen und Kirchenasyl auch zukünftig vom Land Brandenburg respektiert würde. Innenminister Schönbohm nickte dazu ab im Rampenlicht der Öffentlichkeit und sprach sich gemeinsam mit Ministerpräsident Platzeck für eine im Bundesrecht verankerte Härtefallregelung und -kommission aus und für die Einführung einer solchen auch im Land Brandenburg.
Doch wie weit her ist es mit dem Respekt vor einem Kirchenasyl?
Schon wenige Tage später, als das Scheinwerferlicht nachließ, äußerte der Innenminister, dass die Zusage, Kirchenasyle zu respektieren, seine Grenzen im geltenden Recht finde. Auch künftig wolle man nicht vom Grundsatz des Vollzugs rechtskräftiger Entscheidungen abgehen, solange nicht per Gesetz Härtefallregelungen vorgesehen seien. Also doch wieder die drohende Räumung? Immerhin versicherte Schönbohm, er strebe eine Härtefallregelung „politisch an“, doch will er sich wohl nur auf die Bundesgesetzgebung verlassen, die eine solche im Zuwanderungsgesetzentwurf vorsieht. Seit Mitte der 90er Jahre versucht der Flüchtlingsrat Brandenburg das Innenministerium davon zu überzeugen, dass eine Härtefallkommission dringend notwendig sei – bisher ohne Erfolg. Sowenig wie sich die Aussagen von Ministerpräsident und Vize in puncto Kirchenasyle und ihre Sicherheit decken, so wenig deckt sich auch die öffentlich vertretene Meinung Schönbohms mit der der Justizministerin Brandenburgs: eine Härtefallkommission sei absolut nicht nötig, äußerte sie einen Tag später.
Nun also ist in Brandenburg das Chaos perfekt – der Ministerpräsident schützt Kirchenasyl, sein Innenminister widerspricht ihm, fordert zugleich eine Härtefallkommission, die er bisher immer abgelehnt hat, was wiederum die Justizministerin nicht wünscht. Man scheint sich in dieser Regierung also nicht allzu einig zu sein – oder wirkt das nur auf uns so? Mit wie viel Zungen spricht die SPD – CDU – Regierungen in Potsdam?
Wie dem auch sei, Fakt ist, dass das Kirchenasyl im Landkreis Oberhavel wie auch ein inzwischen zweites nötig gewordenes Kirchenasyl in Brandenburg/Havel kriminalisiert werden – die Polizei steht zwar dort (noch) nicht vor der Tür, doch gegen die beiden verantwortlichen Pfarrer sowie die betroffenen Flüchtlinge sind Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Hingegen wurden die Ermittlungen gegen die Polizeibeamten, die ohne richterlichen Beschluss Gemeinde – und Privaträume in Schwante durchsucht haben, eingestellt. Auch in dem zweiten Kirchenasylfall – es handelt sich um eine Familie aus der Demokratischen Republik Kongo – wird mehr als deutlich, dass eine Härtefallkommission für das Land Brandenburg dringend erforderlich wäre. Hier hat die Ausländerbehörde versucht, die Familie noch vor der Entscheidung des Widerspruchs auf die abgelehnte Erteilung einer so genannten Altfallbefugnis abzuschieben.
Kirchenasyle sind nötig, weil deutsche Gerichte und Behörden nicht in der Lage sind, mit geflüchteten Folteropfern „rechtsstaatlich einwandfrei umzugehen“ – so der ehemalige Geschäftsführer der CDU, Heiner Geißler.(2) Das bestätigen unsere Erfahrungen leider. Aus diesem Grunde sollte man auf jeden Fall davon absehen, Kirchenasyle zu kriminalisieren. Kirchenasyl ist immer der letzte Ausweg – doch 2001 wurden über 73% der bekannten Kirchenasyle erfolgreich beendet.(3)
Das rechtfertigt unserer Meinung nach sehr wohl den Einsatz der Gemeinden und PfarrerInnen und bedeutet keineswegs, dass diese sich in einem rechtsfreien Raum bewegen.
(1) Bischoff Huber, Evangelische Kirche Berlin Brandenburg
(2) Just, Sträter:Kirchenasyl, Ein Handbuch, Karlsruhe 2003, S. 123
(3) ebda., S. 174