Kommentar zu den Vorschlägen des Brandenburger Innenministeriums zu dem geplanten Maßnahmenpaket der Landesregierung zur „Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen“

Wir sind entsetzt, welcher Rhetorik sich Innenminister Michael Stübgen (CDU) angesichts der aktuellen Herausforderungen bei der Aufnahme Geflüchteter bedient und wie er damit rassistische und rechte Narrative befeuert. Mit Begriffen wie ‚Migrationskollaps‘ ruft Stübgen ein diffuses Katastrophenszenario auf, das Ängste schürt und der Legitimation einer weiteren Einschränkung der Rechte von Geflüchteten Vorschub leisten soll. Mit rechtspopulistischen Forderungen wie der Abschottung von Grenzen („Migrationsbremse“) stellt er de facto die Schutzbedürftigkeit von Geflüchteten in Frage und unterhöhlt das Recht auf ein individuelles Asylverfahren. Damit nährt er Ressentiments gegen Geflüchtete und knüpft an die „Das Boot ist voll“-Diskurse der 90er Jahre an. Auch in den Vorschlägen des Innenministeriums zum Maßnahmenpaket spiegelt sich diese flüchtlingsfeindliche Rhetorik: Entgegengesetzt zu dem, was der Titel des Pakets verspricht, finden sich dort vor allem Abschottung, Verwahrung und Desintegration.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten fordert der Flüchtlingsrat Brandenburg:

1. Die Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen darf nicht ausgeweitet werden

Erstaufnahmeeinrichtungen sind keine Orte der dauerhaften Unterbringung, sondern zur ersten Orientierung von Asylsuchenden nach ihrer Ankunft in Deutschland gedacht. Sie dürfen daher nicht als langfristige Unterbringung zweckentfremdet werden. Stattdessen müssen mehr Plätze in den Landkreisen selbst gefunden werden. Asylsuchende sollten nicht wie vorgeschlagen bis zu 18 bzw. 24 Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben müssen, sondern möglichst schnell, spätestens aber nach 3 Monaten und ohne Unterscheidung nach vermeintlichen Bleiberechtsprognosen auf die Kommunen verteilt werden. Mit einer Ausweitung auf eineinhalb bis zwei Jahre würde die Landesregierung hinter ihr Versprechen des Koalitionsvertrags, die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme auf sechs Monate zu begrenzen, zurückfallen.

Unabhängig vom Ausgang von Asylverfahren haben besonders Schutzbedürftige laut Landesaufnahmegesetz zudem bereits jetzt das Recht, Erstaufnahmeeinrichtungen zu verlassen und in „geeignete Unterkünfte“ oder „Wohnungen“ zu ziehen. Dies wird derzeit jedoch in fast allen Landkreisen nicht umgesetzt.

2. Mindeststandards bei der Unterbringung müssen eingehalten werden

Bei allen Unterbringungsmöglichkeiten müssen Mindeststandards gewahrt werden. Sollten neue Unterkünfte entstehen, dann mit kleinen Wohneinheiten für insgesamt maximal 50 Personen. Eine Unterbringung in Turnhallen sollte keine Option sein, da sich dort nicht einmal ein Mindestmaß an Privatsphäre, Ruhe, individuellem Sicherheitsgefühl und selbstbestimmter Lebensgestaltung herstellen lässt. Auch Kinder- und Gewaltschutzkonzepte lassen sich dort kaum umsetzen.

Sammelunterkünfte wirken desintegrierend und gesundheitsgefährdend. Sie sind Zwangsgemeinschaften, in denen Grundrechte systematisch eingeschränkt und verletzt werden, weshalb der Fokus auf der Suche nach Wohnungen liegen sollte.

3. Keine neuen Lager

Das Innenministerium möchte eine „Landesübergangseinrichtung“ schaffen. Dort sollen Personen „mit einer schlechten oder zumindest unsicheren Bleibeperspektive“ untergebracht werden, wenn sie nach 18 Monaten aus der Erstaufnahmeeinrichtung entlassen werden müssen. Sie sollen in der Nähe von Erstaufnahmeeinrichtungen entstehen und ca. 1800 bis 2000 Plätze umfassen. Für Geflüchtete, die nicht nach Kriterien wirtschaftlicher Verwertbarkeit eine Beschäftigungs- oder Ausbildungsduldung erhalten, sind dort unter anderem Beratung zur „freiwilligen“ Ausreise und Qualifizierungsmaßnahmen geplant, um „die Integration im Heimatland zu erleichtern“.

Wir lehnen die Eröffnung weiterer Lager, in denen Geflüchtete zentriert untergebracht und unter Druck zur Ausreise bewegt werden sollen, strikt ab. Diese Einrichtungen stehen der Erstaufnahme in nichts nach und führen die desintegrierende Situation nur fort. Es kann nicht sein, dass Schutzsuchende über Jahre in einem Zustand des „Übergangs“ festgehalten werden.

4. Keine Unterscheidung von Geflüchteten nach vermeintlicher Bleibeperspektive

Das Innenministerium möchte künftig nur noch Geflüchtete „mit guter Bleibeperspektive“ in die Kommunen verteilen, und alle anderen in Erstaufnahmeeinrichtungen bzw. der sog. Landesübergangseinrichtung festhalten.

Dieses Vorhaben ist vor dem Hintergrund des Rechts auf ein individuelles Asylverfahren zu verwerfen. Der Ausgang von Asylverfahren lässt sich nicht antizipieren. Die Möglichkeit auf gesellschaftliche Teilhabe von Beginn an sollte nicht von pauschalen Schutzquoten des BAMF abhängig gemacht werden, zumal diese aus unterschiedlichen Gründen zu kritisieren sind. So würden Menschen aus dem Iran aktuell nicht in die Kategorie „mit guter Bleibeperspektive“ fallen. Außerdem werden die Entscheidungen vom BAMF regelmäßig von Gerichten korrigiert, die Klageverfahren in Brandenburg dauern aber extrem lang (im Schnitt 44,6 Monate).

5. Aufnahmeprogramme Syrien und Jordanien erhalten

Das Innenministerium möchte die Landesaufnahmeprogramme spätestens ab 2024 aussetzen.

Es ist unwürdig, dies als Lösung für die aktuellen Herausforderungen zu präsentieren. Laut Koalitionsvertrag geht es jährlich um nicht mehr als 200 schutzbedürftige Personen. Zudem ist das Aufnahmeprogramm Syrien an eine Verpflichtungserklärung und die Bereitstellung von Wohnraum durch eine einladende Person geknüpft, weshalb das Land hier kaum belastet wird. Es ist schändlich, einerseits „unkontrollierte Migration“ zu beklagen, und andererseits die wenigen existierenden legalen Fluchtrouten schließen zu wollen.

6. Forderung nach mehr Abschiebungen ist populistisch

Die Zentrale Ausländerbehörde soll vier zusätzliche Abschiebeteams erhalten und das „Duldungsmanagement“ übernehmen, „um zeitnah rückführungsvorbereitende Maßnahmen einzuleiten“.

Rufe nach mehr Abschiebungen sind kein konstruktiver Beitrag zur Debatte um die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen bei der Aufnahme von Schutzbedürftigen. Viele ausreisepflichtige Geflüchtete können aus sehr guten Gründen – wie etwa einem Abschiebestopp für ihr Herkunftsland oder humanitären wie medizinischen oder familiären Gründen – nicht abgeschoben werden. Zu suggerieren, es gäbe ein Abschiebevollzugs-Defizit, wie dies Innenminister Stübgen mit der wiederholten Forderung nach einer ‚konsequenten‘ Abschiebungsoffensive immer wieder tut, zeugt von einer Ignoranz gegenüber aktuellen Kriegen und Krisen in der Welt und befeuern rechte Narrative.

Viel sinnvoller und konstruktiver wäre stattdessen die Installierung von Teams, die eine Umsetzung des Chancen-Aufenthaltsrechts und eine Prüfung von Bleiberechtsmöglichkeiten sicherstellen.

Flucht und Migration sind und bleiben eine gesellschaftliche Realität. Das Land hat es versäumt, dafür vorausschauend Lösungen zu finden. Dies darf jetzt nicht auf dem Rücken von Menschen, die bei uns Schutz suchen, ausgetragen werden. Was es jetzt definitiv nicht braucht, sind vermeintlich einfache Scheinlösungen, eine realitätsverweigernde Rückwärtsgewandtheit und überholte Abwehrreflexe, die Problemlagen vor Ort verschärfen anstatt sie zu lösen.

Was stattdessen getan werden kann und sollte:

1. Wohnsitzauflage abschaffen

Aktuell wird in Brandenburg fast immer die Wohnsitznahme nicht nur auf die Gebietskörperschaft, sondern auch auf die Stadt oder sogar die zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft beschränkt. Es gibt rechtlich jedoch deutlichen Spielraum bei der Umsetzung der Wohnsitzauflage auch für Asylsuchende nach § 60 AsylG und für Geduldete nach § 61 AufenthG, die jetzt durch die Ausländerbehörden genutzt werden sollten. Denn wer anderweitig unterkommen kann, sollte die Gemeinschaftsunterkunft verlassen dürfen.

2. Aufhebung der Wohnverpflichtung in Asylaufnahmeeinrichtungen (§ 47 Asylgesetz)

Berlin hat es vorgemacht: Die Bundesländer haben die Möglichkeit, Schutzsuchende gemäß Paragraf 49 Absatz 2 Asylgesetz „insbesondere zur Gewährleistung der Unterbringung und Verteilung“ von der Wohnpflicht in Asylaufnahmeeinrichtungen zu befreien. Wenn Asylsuchenden privates Wohnen ab dem ersten Tag erlaubt ist, und diese etwa bei Verwandten, Freund*innen oder in eigenen Wohnungen unterkommen können, entstehen auch freie Plätze in den Landkreisen.

3. Wohnberechtigungsschein (WBS) für alle Geflüchtete unabhängig von vermeintlichen Bleibeprognosen

Die Gruppe der Geflüchteten, die einen Wohnberechtigungsschein beantragen können, muss auf Geflüchtete, die sich noch im Asylverfahren befinden sowie auf Menschen mit Duldung oder mit Aufenthaltserlaubnissen von unter 12 Monaten, ausgeweitet werden. Im Asylverfahren herangezogene Bleibeprognosen, die für die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins zu Grunde gelegt werden, entsprechen häufig nicht den realen Bleibezeiträumen.

4. Landkreise sollten mehr Wohnungen anmieten bzw. bürgen

Als im vergangenen Jahr Geflüchtete aus der Ukraine hier Schutz suchten, gab es viele kreative Ideen, um eine angemessene Unterbringung zu gewährleisten. Das Land sollte differenziert prüfen, wo im Land auf unbürokratische Art und Weise eine Unterbringung in Wohnungen und Wohnverbünden ermöglicht werden kann.

5. Mehr Investitionen in die soziale Infrastruktur

Letztlich braucht es jedoch nicht nur mehr sozialen Wohnraum, sondern auch vorausschauende Investitionen in den Ausbau von Kita-Plätzen, mehr Lehrkräfte, eine bessere Anbindung im ländlichen Raum und eine bessere medizinische Versorgung.

Der diesbezügliche aktuelle Mangel verweist auf gesamtgesellschaftliche Probleme, die nicht erst seit gestern bestehen und hausgemacht sind. Anstatt die Rechte von Schutzsuchenden zu beschneiden und Gruppen gegeneinander auszuspielen, sollte die aktuelle Situation vielmehr – und auch vor dem Hintergrund des aktuellen Arbeitskräftemangels – als Chance genutzt werden, gesamtgesellschaftliche Lösungen zu fokussieren und Brandenburg für alle lebenswerter zu machen.

 

Anmerkung: Wir beziehen uns auf eine interne Vorlage des Brandenburger Innenministeriums.

Auf den Aufruf „Vom Untergebracht-Werden zum Wohnen“ eines Bündnisses aus Vertreter*innen von Vereinen, Beratungsstellen, Initiativen, Selbstorganisationen, der Wissenschaft, der Kommunalpolitik und der Zivilgesellschaft an die Brandenburger Landesregierung sei an dieser Stelle verwiesen.