Es beschäftigt uns derzeit gerade alle: Die chaotische Lage in Afghanistan, die schrecklichen Konsequenzen für die im Land gefangenen Afghan*innen und die Ängste der Afghan*innen in Brandenburg, die gerade händeringend versuchen, ihre Familien in Sicherheit zu bringen.

Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Brandenburg seine Aufnahmebereitschaft erklärt hat und nun die zunächst für eine bundesweite Verteilung vorgesehenen Ortskräfte und ihre Familien aus Doberlug-Kirchhain in unserem Bundesland aufnimmt.

Aus gegebenem Anlass hat sich heute auch der Landtag mit dem Thema beschäftigt: In der Aktuelle Stunde wurde die ‚Lage in Afghanistan und die Konsequenzen für Brandenburg‘ (9:30-11h) diskutiert. Ein Antrag zum Thema von den Linken wurde mehrheitlich abgelehnt, mehrheitlich angenommen wurde der Antrag der Regierungsfraktionen CDU, SPD und Grüne: „Brandenburg lässt die afghanischen Helferinnen und Helfer nicht im Stich„.

Aus unserer Sicht bleibt der Antrag weit hinter seinen Möglichkeiten zurück – andere Bundesländer haben klarere Zeichen gesetzt und mit eigenen Landesaufnahmeprogrammen und Bleiberechtsregelungen Verantwortung übernommen. Auch der Titel des Antrages verrät schon, dass eine humanitäre Aufnahme, die über den engen Ortskräftebegriff hinausgeht – z.B. von besonders vulnerablen Gruppen und Menschen, die für Frauen- und Menschenrechte und Demokratie gekämpft haben, nicht angedacht ist.

Im Kern ist unsere Kritik, die wir im Vorfeld der heutigen Debatte den Fraktionen mitgeteilt haben, folgende:

  • Der Antrag zielt zur Aufenthaltssicherung der in Brandenburg lediglich geduldeten Afghan*innen auf Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 (1) AufenthG ab. Eine Lösung, die auf die Zustimmung des Bundes angewiesen ist, der mit einer Blockadehaltung dem Ansinnen, Sicherheit für Afghan*innen in Brandenburg zu schaffen, auch einen Strich durch die Rechnung machen kann. Es hätte die Lösung gegeben, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen und die Ausländerbehörden anzuweisen, Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5  AufenthG  zu erteilen oder andere Bleiberechtsregelungen proaktiv zu prüfen und zu erteilen – ganz ohne den Umweg über den Bund.
  • Es ist äußerst bedauerlich, dass ein eigenes Landesaufnahmeprogramm keinen Eingang in den Beschluss gefunden hat. Mit einem eigenen Landesaufnahmeprogramm hätte Brandenburg Einfluss auf die Konditionen nehmen können, unter denen Menschen aus Afghanistan aufgenommen werden. Beispielsweise hätte so eine Aufnahme unabhängig von Verpflichtungserklärungen geregelt werden können. Eigene Aufnahmeprogramme ermöglichen außerdem die Aufnahme von Menschen, die trotz ihrer akuten Gefährdung keine Möglichkeit hätten, nach Deutschland einzureisen. Neben den Ortskräften, Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen, Politiker*innen oder ehemaligen Staatsbediensteten sind alle weiteren Personen, die sich dem Regime der Taliban nicht unterwerfen wollen oder können, ebenfalls gefährdet. Dazu gehören unter anderem LGBTIQ*, Abgeschobene (die dem Vorwurf der „Verwestlichung“ ausgesetzt sind) oder schlicht Mädchen und Frauen. Ein Landesaufnahmeprogramm wie Schleswig-Holstein es verabschiedet hat, wäre so beispielsweise denkbar gewesen, dessen Fokus die Aufnahme von weiblichen Familienangehörigen ist.
    Auch ermöglichen Aufnahmeprogramme, dass Afghan*innen zu ihren Angehörigen nach Deutschland bzw. Brandenburg ziehen können. Bisher scheiterte selbst der Anspruch von Ehegatten oder minderjährigen Kindern auf Familiennachzug allzu oft an den hohen bürokratischen Hürden und verschleppten Verfahren.
    Gleichzeitig wäre eine eigene Landesaufnahmeanordnung ein wichtiges Signal an den Bund gewesen. Die Innenminister*innen der Länder haben bereits ein Aufnahmeprogramm von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefordert. Dieser verharrt bislang jedoch tatenlos und schweigt sich weiterhin aus.
  • Zu guter Letzt fehlt uns in dem Beschluss ein Bekenntnis zum erweiterten Familiennachzug. Hier hätte landesrechtlich konkretisiert werden können, dass die Ausländerbehörden angehalten sind, den erweiterten Familiennachzug beispielsweise von Geschwisterkindern, weiblichen Angehörigen oder Großeltern zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte zu ermöglichen. Wenn diese Möglichkeit des erweiterten Familiennachzuges nicht genutzt wird, müssen Eltern sich beispielsweise dazu entscheiden, zu ihren minderjährigen Kindern in Brandenburg nach zu ziehen, und ihre anderen minderjährigen Kinder in Afghanistan zurück zu lassen. Diese Situation hätte durch eine klare Positionierung der Landesregierung vermieden werden können.

(Ein Kommentar von Lotta Schwedler vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Kontakt für Presseanfragen: Tel.: 0176 21 42 5057 | info@fluechtlingsrat-brandenburg.de)