h5. Innenministerkonferenz in Bad Saarow
16. bis 18.4.2008
Wir appellieren an die 16 Innenminister und Innensenatoren sowie den Bundesinnenminister, sich mit der Thematik „Residenzpflicht“ zu beschäftigen. Sie sind es, die für die Umsetzung der deutschen Ausländer- und Asylgesetze verantwortlich sind. Sie sind verantwortlich dafür, dass Flüchtlingspolitik in diesem Land nur zum Schein Menschenrechtspolitik ist. Oder was haben die 6 Quadratmeter, die einem Flüchtling in einem Heim zustehen, mit Menschenrechten zu tun? Was haben Arbeitsverbot und Wertgutscheine, was hat die „Residenzpflicht“ mit Menschenrechten zu tun?
Gern hätten uns Flüchtlinge aus Brandenburg zu dieser Übergabe begleitet, aber aus Angst vor der Polizei haben sie es nicht getan. Denn als Flüchtlinge unterliegen sie der so genannten „Residenzpflicht“.
„Residenzpflicht“, das hat freilich nichts mit fürstlichen Residenzen wie dem Wellness-Hotel Esplanade zu tun, „Residenzpflicht“, das ist eine Bestimmung im deutschen Asylrecht, die einmalig in Europa ist. Diese Verlassengestattung für einen Landkreis – umgangssprachlich „Urlaubsschein“ genannt – muss bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Sie wird nur erteilt, wenn, so heißt es im Gesetz, zwingende Gründe vorliegen oder die Verweigerung eine unbillige Härte darstellt. Das heißt: Ein Besuch bei Verwandten oder Freunden ist abhängig von der Willkür der Sachbearbeiter. Die meisten Urlaubsscheine werden verweigert, mit der Begründung, der vorgebrachte Grund sei kein zwingender.
Wer ohne Schein außerhalb des Landkreises angetroffen wird, muss ein Bußgeld zahlen, im wiederholten Fall gibt es Strafbefehle oder Haftstrafen. So werden kriminelle Ausländer produziert. Demokratische Politiker können damit Wahlkampf machen.
Nehmen wir ein Beispiel, nehmen wir den Fall eines kurdischen Flüchtlings. Dieser lebt seit elf Jahren unter diesen Bedingungen in einem Brandenburger Landkreis. Er wurde mehrmals wegen Verstoß gegen die „Residenzpflicht“ mit Strafbefehlen belegt und schließlich auch noch ohne Fahrkarte in der Berliner U-Bahn angetroffen. Zwei Jahre Haft auf Bewährung brachte ihm das ein. Zwei Jahre, nur wegen mehrmaligem Verlassen des Landkreises ohne Verlassensgestattung und einmal Fahren ohne Fahrschein.
Oder nehmen wir ein Beispiel aus Sachsen, wo die Situation nicht anders ist. Frau T. kam mit ihren Kindern vor vier Jahren in Deutschland an. Sie war vor dem Krieg in Tschetschenien geflohen. Frau T. wurde der kreisfreien Stadt Plauen zugewiesen. Verwandte in der Nachbarstadt darf sie nur mit Erlaubnis besuchen. Zwei mal erhielt sie wegen wiederholten Verstoßes gegen die „Residenzpflicht“ einen Strafbefehl. Zwei weitere Strafbefehle erhielt sie wegen Ladendiebstahls, allerdings in der Höhe von 8 und 12 Euro. Der letzte Strafbefehl führte zu ihrer Ausweisung, weil sie „die Sicherheit und Ordnung und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland in erheblichem Ausmaß gefährdet“, wie es im Schreiben der Ausländerbehörde heißt.
Gegen diese so genannte „Residenzpflicht“ protestieren wir hier. Die „Residenzpflicht“ ist eine Verletzung des elementaren Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit. Wie heißt es so klar und deutlich im Grundgesetz? „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“ Alle Deutschen, nicht alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten. Das Grundgesetz definiert eine Reihe elementarer Grundrechte als Deutschenrechte, nicht als Menschenrechte. Stellen Sie sich vor, Sie müssten, wollten Sie zum Einkaufen nach Berlin fahren, vorher zum Amt, einen Urlaubsschein beantragen. Sie würden das als eine unzumutbare Freiheitseinschränkung und Schikane empfinden, zu Recht. Für Flüchtlinge ist diese Schikane gewollt.
Die „Residenzpflicht“ ist seit ihrer Einführung im westdeutschen Asylrecht im Jahr 1982 ein Teil eines Bündels von Maßnahmen, die nur einem Ziel dienen sollen: Flüchtlinge einzuschüchtern und abzuschrecken, um sie so schneller abschieben zu können.
„Residenzpflicht“, Arbeitsverbot und Heimunterbringung führen in eine Richtung: in die gewollte Isolation. Das wird besonders deutlich im Land Brandenburg, wo es nach wie vor Heime des Typus Lager gibt, die mitten im Wald liegen, abseits von jeder menschlichen Ansiedlung. Sei es in Garzau, in Bahnsdorf oder auf dem alten Militärgelände bei Perleberg. „Residenzpflicht“ und Lager – das ist das Rezept der Ausgrenzung, das ist die Lebensrealität jenseits der Sonntagsreden über Integration.
Die „Residenzpflicht“ hat sehr weit reichende Wirkungen. Eine dieser Wirkungen ist, dass ein Großteil der Flüchtlinge in die Illegalität gedrängt wird. Denn eines ist klar: es ist so gut wie unmöglich, die „Residenzpflicht“ einzuhalten. Unmöglich, wenn man noch etwas vom Leben will, wenn man nicht in der Isolation in den Lagern vor sich hin vegetieren will. Man muss sie brechen, wenn man Mensch bleiben möchte. Das allerdings hat Konsequenzen. Es bedeutet, immer auf der Flucht vor der Polizei zu sein. Vor der Polizei, die die „Residenzpflicht“ kontrolliert. Ein Großteil der Polizeikontrollen wird mit dem Verdacht auf Verstoß gegen die „Residenzpflicht“ begründet. Folgende Szene vor ein paar Jahren ist typisch: wir stehen mit zwei Afrikanern auf dem Bahnsteig in Fürstenwalde, der Bahnsteig ist voller Menschen. Zwei Bundespolizisten kommen geradewegs auf uns zu und verlangen von den Afrikanern Papiere und Urlaubsschein. Sie kontrollieren nicht die Hundert Deutschen, die auf den Zug nach Berlin warten, sie kontrollieren nur die Menschen, die eine andere Hautfarbe haben oder nicht deutsch genug aussehen. Die beiden Afrikaner haben diese Kontrolle als rassistisch empfunden. Durchaus nachvollziehbar.
Das sind alltägliche Erfahrungen von Flüchtlingen. So funktioniert institutioneller Rassismus. Dafür sind die Innenminister, die sich hier versammeln, mit verantwortlich.
Es liegt in Ihrer Verantwortung, Initiativen im Bundesrat zu ergreifen, um die menschenrechtswidrige „Residenzpflicht“ abzuschaffen. Sie können dafür sorgen, dass die Politik gegenüber Flüchtlingen in diesem Land Menschenrechtspolitik wird und keine bloße Sicherheits- und Ordnungspolitik, der die Menschenrechte von Flüchtlingen geopfert werden.
Im November werden wir wieder da sein, wenn Sie sich in Potsdam treffen. Bis dahin fordern wir, FlüchtlingsunterstützerInnen und Betroffene, Sie dazu auf, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Sie haben die Möglichkeit, die „Residenzpflicht“ zu einer historischen Absonderlichkeit zu machen. An den Passgesetzen in Südafrika und wie diese mit der Apartheid abgeschafft wurden können sich ein Beispiel nehmen. Im November erwarten wir Antworten von den Innenministern. Wir sehen uns in Potsdam!
*Bad Saarow, den 17.04.2008*
gez. Vera Everhartz – Judith Gleitze – Kay Wendel für den Flüchtlingsrat Brandenburg