Gemeinsame Pressemitteilung von Women in Exile und dem Flüchtlingsrat Brandenburg anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen:
Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November 2017 wollen wir auf die strukturelle Gewalt gegen geflüchtete Frauen in Brandenburg aufmerksam machen. Frauen erleben Gewalt in den Unterkünften durch andere Geflüchtete, das Personal und in der Gesellschaft. Sie erfahren auch strukturelle Gewalt durch das Lagersystem, die Asylgesetzgebungen und die diskriminierende Praxis der Behörden.
Aktuelle bundesrechtliche Gesetzesverschärfungen ermöglichen es, Menschen sechs Monate lang und diejenigen mit so genannter schlechter Bleibeperspektive auch länger in der Erstaufnahme festzuhalten und so bei einer Ablehnung ihres Asylgesuches direkt abschieben zu können. Die prekären Bedingungen in der Erstaufnahme – fehlende Privatsphäre, eingeschränkter Zugang zu erforderlichen Gesundheitsleistungen und die Unmöglichkeit, das eigene Familienleben zu gestalten – gefährden in besonderem Maße Schutzbedürftige wie Frauen und Kinder. Einer asylsuchenden Familie mit einem herzkranken Neugeborenen, das regelmäßige Behandlungen in der Berliner Charité benötigte, wurde etwa der Umzug aus der Erstaufnahme in Doberlug-Kirchhain in eine Wohnung in Berlinnähe verweigert. Dies, obwohl die langen Fahrtwege eine große Belastung für das Kind und seine Eltern darstellten. Ähnlich erging es einer Transfrau, deren Auszug trotz Empfehlungen und Gutachten von Psycholog_innen durch die Zentrale Ausländerbehörde verhindert wurde. Die Verweigerung des Auszuges aus der Erstaufnahme von Menschen mit besonderem Schutzbedarf, um sie vor Angriffen zu schützen, oder die notwendige Versorgung sicherzustellen, findet derzeit immer wieder statt. Dies legt die Vermutung nahe, dass das Ziel, Menschen reibungslos abschieben zu können, schwerer wiegt als ihre Gesundheit.
Die Notversorgung in der Erstaufnahme lastet in besonderer Weise auf den Schultern von Frauen, die häufig die strukturelle Lücke in der Versorgung durch eigene Sorgearbeit für kranke Geflüchtete und Kinder anderer Familien füllen müssen. Durch unfaire Asylverfahren und das Fehlen eines Verfahrens für die Erkennung besonderer Schutzbedürftigkeit in der Erstaufnahmeeinrichtung können Frauen häufig humanitäre Gründe, die sie vor der Abschiebung schützen könnten, nicht geltend machen. Trotz Diskussionen um Gewaltschutzkonzepte bleiben vor allem Frauen, Kinder oder LGBTI-Personen den Konflikten in den Unterkünften ausgesetzt. Die Wohnverpflichtung in der Erstaufnahme wird oft vor der Schutzbedürftigkeit und der Notwendigkeit eines Auszuges priorisiert. Ein Umzug in Frauenhäuser scheitert nicht selten an fehlenden Plätzen für Frauen mit mehr als einem Kind.
Auch nach der Verteilung in die Landkreise bleibt die gesundheitliche Schlechterstellung bestehen. Die Einführung der Gesundheitskarte in mittlerweile fast allen Landkreisen hat häufig nicht zur gewünschten Gleichstellung und zu einer Beendigung der Stigmatisierung von Geflüchteten geführt. Noch immer kommt es regelmäßig zu Behandlungsverweigerungen. So wurde einer geflüchteten Frau aus Frankfurt/Oder trotz Krankenkassenkarte dreimalig die Behandlung bei Ärzten verwehrt, weil diese befürchteten, ihre Leistungen nicht erstattet zu bekommen. Ein Umstand der laut Gesetzgeber eigentlich durch die Karte behoben werden sollte. Ähnlich erging es einer Frau aus Eritrea: Ihr wurde die notwendige Entfernung eines Implantats zur Empfängnisverhütung durch einen Arzt/eine Ärztin verweigert. Sie hatte es sich als Schutz eingesetzt, da sie auf der Flucht mit Vergewaltigung rechnen musste. Das Nichtentfernen des Implantats stellt nun ein weiteres Gesundheitsrisiko dar. Dabei fordert europäisches Recht eine vollumfängliche Versorgung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen wir Kindern, Kranken oder von Gewalt bedrohten oder betroffenen Frauen und LGBTI-Personen.
Formen struktureller Gewalt gegenüber Frauen zeigen sich immer wieder auch bei gewaltvollen Abschiebeversuchen in Brandenburg. Im Sommer diesen Jahres versuchte die Polizei ohne Ankündigung und unter Anwendung von Gewalt eine Mutter aus Oberhavel abzuschieben. Sie war aktenkundig in einer psychisch labilen Situation. Man legte ihr dennoch Handschellen an. Ihr vierjähriger Sohn, selbst psychisch behandlungsbedürftig, wurde Zeuge dieser Gewaltanwendung. Die Folge des Abschiebeversuches war ein fast viermonatiger Aufenthalt der Mutter im Krankenhaus und eine Unterbringung des Kindes in einer Kinderstation. Strukturell gewaltvoll ist hier nicht nur das Verhalten der Ausländerbehörde, die die Erkrankung der Mutter als Abschiebehindernis ignorierte. Auch die Bedingungen der Unterkunft, wo sich besonders Schutzbedürftige immer wieder unangemeldeten und gewaltvollen Abschiebungen ausgeliefert sehen, befördern diese Umstände.
Women in Exile und der Flüchtlingsrat fordern:
Schutzbefohlenheit und die Gesundheit von Frauen und Kindern müssen schwerer wiegen als die rücksichtslose Umsetzung restriktiver Gesetze! Schutz für alle geflüchteten Frauen und Kinder – ohne Ausnahme und unabhängig von der vermeintlichen Bleibeperspektive!
Wir fordern: Eigener Wohnraum für Frauen und Kinder! Verteilung aus der Erstaufnahme innerhalb eines Monats! Uneingeschränkter Zugang zu Gesundheitsleistungen ab dem ersten Tag! Wir fordern eine nachhaltige Bleibeperspektive für alle Flüchtlinge!
Pressekontakt: Elisabeth Ngari, Women in Exile: 0176 329 20 586 und Ivana Domazet, Flüchtlingsrat Brandenburg: 0176 314 83 547
Potsdam, den 24. November 2017
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