„Eisenhüttenstadt – kein Platz für Rassismus“ – begrüsst das Ortsschild die Ankommenden. Positive Beispiel wie das Unternehmen EKO-Stahl, das sich öffentlich gegen Rassismus stellt und antirassistischen Tendenzen ihrer Azubis und MitarbeiterInnen nicht duldet, scheinen dem Ortsschild recht zu geben.
Doch der Flüchtlingsrat Brandenburg (FR) hat leider ganz andere Erfahrungen mit dem Thema Rassismus in Eisenhüttenstadt machen dürfen.
Gehen wir drei Jahre zurück, März 1999.
bq. „Eisenhüttenstadt liegt 25 km südlich von Frankfurt /Oder, ca. 30 km nördlich von Guben (…) Frankfurt/Oder und Guben haben nach Polen Übergänge über die Grenzflüsse Oder und Neisse, Eisenhüttenstadt nicht. Diese ist in Bezug auf unerwünschte Besucher aus dem Nachbarland einerseits eine Erleichterung, andererseits auch eine Erschwerung. Eine Erleichterung insoweit, als die Anzahl legal eingereister Straftäter nicht so hoch ist wie in den beiden Nachbarstädten, eine Erschwerung jedoch insoweit, als sie unkontrollierbar kommen, nachts in Schlauchbooten über die Oder (…)“
So Amtsgerichtsdirektor Ruppert aus Eisenhüttenstadt in seinem Bericht „Ausländer im beschleunigten Verfahren – Beispiel Eisenhüttenstadt. „Der Schnellrichter von Eisenhüttenstadt – Dr. Werner Ruppert“, ausgezeichnet mit dem Denkzettel des Flüchtlingsrats Brandenburg für systeminternen und strukturellen Rassismus 1999.
Der FR wurde auf den Richter aufmerksam, da er immer wieder Flüchtlinge in Schnellverfahren in die Abschiebehaft brachte. Ein eklatantes Beispiel dafür ist der Haftbefehl gegen einen jungen Mann aus Sierra Leone. In dem Beschluss des AG Eisenhüttenstadt, von Ruppert unterschrieben, heisst es:
bq. „Nach allem besteht der begründete Verdacht, dass es sich hier um einen abgelehnten Asylbeweber handelt, der sich der Abschiebung überhaupt entziehen will.“
Herr I.S.J. ist schwerbehindert und konnte sich zu diesem Zeitpunkt nur unter äusserster Anstrengung an Krücken fortbewegen. Dennoch musste er auf Richter Rupperts Initiative in die Abschiebehaft. Erst durch Beschluss des Landgerichts Frankfurt (O.) in nächster Instanz wurde er freigelassen. Fragte man den Richter zu einem Fall, bekam man schon mal die Antwort, dass sein doch „der Asylant, den ich eingelocht habe“ (in einem Telefonat 1998). Anfang 1999 strahlte der ORB eine Reportage über Richter Dr. Werner Ruppert aus, spätestens hier bot sich dem FR „Nahrung“ für seinen jedes Jahr zum Antirassismustag am 21.März zu verleihenden Denkzettel:
bq. „Die [Asylsuchenden] sind entsprechend geschult, was sie zu sagen haben (…) Diese Pseudo-Asylbewerber, die bekommen entsprechende Schulungen, wir kennen die Ausreden von diesen Leuten. (…) Ich habe von denen, die mir vorgestellt wurden, noch nie, aber nicht in einem einzigen Fall den Eindruck gehabt, dass der verfolgt war (…) Ich halte von Multi-Kulti überhaupt nichts, ich bin nämlich der Meinung, es gibt Kulturen, und in dem Moment, wo man diese Kulturen vermischt, ist das genau so, als würden Sie verschiedenen edle Weinsorten vermischen. Was da rauskommt, dass weiß jeder.“
Doch nicht nur Richter Ruppert wollte 1999 gerne noch „einen Zacken anziehen“ (aus dem Beitrag des ORB) am Strafmaß, sei es für AusländerInnen oder deutsche Kleinkriminelle. So äussert sich auch der Leiter des ‚Marktkauf“:
bq. „In Eisenhüttenstadt herrscht Sodom und Gomorra: Polen an der Grenze, das Asylantenauffanglager, und da passiert natürlich um einiges mehr, was die Kriminalität angeht, da muss ich sagen, da ist der Dr. Ruppert genau der richtige Mann“
(aus dem Beitrag des ORB). Diese ‚Bravorufe‘ gehen, wie man an der Aussage des Marktkauf-Leiters unschwer erkennen kann, klar zu Lasten der AusländerInnen und Flüchtlinge, die die grösste Gefahr in Eisenhüttenstadt darzustellen scheinen. Das „schnelle Richten“ und die Begeisterung in Teilen der Bevölkerung nährt schnell eine rassistische Grundhaltung. Es wird nicht mehr nachgefragt, warum die Statistik der angeblichen Ausländerkriminalität so hoch ist – Richter Ruppert verurteilt, meist landen die Betroffenen in der Abschiebehaft. Ihr Vergehen: sie sind nach Deutschland geflohen, wollten sich hier in Sicherheit bringen. Dummerweise hatten sie grad kein Visum dabei. Straftat. Eine Stadt ohne Rassismus müsste auch gegen einen solchen Richter vorgehen, wenn sie sich denn so nennen will. Einige haben es versucht, so wie auch der FR, doch sie sind bisher gescheitert.
Den Denkzettel wollte der Richter im März 1999 nicht entgegennehmen, sprechen liess er sich auch nicht, aber ein Fax hat er geschickt:
bq. „Da ich Orden, Ehrentitel u.a. Ehrbezeugungen grundsätzlich ablehne, werde ich auch dieses Mal keine Ausnahme machen. Ich erwarte eine grössere Delegation aus Berlin mit örtlichen Sympathisanten, sekundiert von einer bestimmten Presse, der es auf ein Spektakel ankommt. (…) Bei dem „Flüchtlingsrat“ handelt es sich um eine der Organisationen, die ich in dem gefälschten ORB-Bericht angesprochen hatte.“ (18.3.1999)
Eisenhüttenstadt – Kein Platz für Rassismus? Aus flüchtlingspolitischer Sicht ist Eisenhüttenstadt eher ein dunkler Fleck. Nicht nur Richter Ruppert macht den Flüchtlingen das Leben schwer, in Eisenhüttenstadt befindet sich auch die Erstaufnahmeeinrichtung und die Abschiebehaft für Flüchtlinge. Zudem liegt die Stadt in der Grenzzone, was durch die starke Präsenz des BGS nicht zu übersehen ist. Dies wird schon sichtbar bei der Ankunft am Bahnhof. Für Menschen anderen Aussehens sowie ihrer BegleiterInnen gehören Kontrollen durch den BGD zur Tagesordnung.
Jede und Jeder, die oder der nur ein bisschen „nicht-deutsch“ aussieht, muss damit rechnen, beobachtet, angehalten, ausgehorcht und nach dem Ausweis gefragt zu werden.
Diese unangenehmen Kontrollen sind Alltag in Eisenhüttenstadt, bedienen rassistische Vorurteile und passen so gar nicht zu einer Stadt, die vorgibt, Rassismus überwinden will.
Verlassen wir den Bahnhof und die Innenstadt, finden wir nach ca. Minuten Fussweg am Rande gelegen die sog. ZAST – die Zentrale Aufnahmestelle für asylsuchende Flüchtlinge . Jedes Bundesland verfügt über eine solche Erstaufnahmeeinrichtung, Asylsuchende sind per Gesetz verpflichtet, die ersten drei Monate in einer solchen Aufnahme zu wohnen. Von „Aufnahme“ ist allerdings nicht viel zu sehen oder zu spüren. Vor uns liegt ein unfreundliches, stacheldrahtumzäuntes Gelände, von dem der Eindruck ausgeht, als seien hier Menschen untergebracht, die bewacht und eingesperrt werden müssen und nicht Flüchtlinge, die aufgrund extremer Notlagen ihr Land verlassen mussten. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man erfährt, dass die „Sozial“betreuung der Flüchtlinge seit eineinhalb Jahren von der Sicherheitsfirma B.O.S.S. ausgeübt wird.
Einzigartig in Deutschland liegen Erstaufnahmeeinrichtung und Abschiebehaft auf einem Gelände. Ca. 60 % aller Abschiebungen von Aylsuchenden erfolgen direkt vom Gelände der ZAST in Eisenhüttenstadt. Angekommen – Aufgenommen – und schon wieder abgeschoben: vollkommen auf sich gestellt, der deutschen Sprache nicht mächtig und (bisher) ohne jegliche unabhängige Asylverfahrensberatung kommt es immer wieder zu Überführungen in die Abschiebehaft oder zur sofortigen Rückschiebung ins Nachbarland Polen.
Ganz offensichtlich ist zivilgesellschaftliches Engagement für die Rechte von Flüchtlingen auf diesem Gelände unerwünscht, wie folgendes Beispiel zeigt: Eine von Jugendgruppen und dem Flüchtlingsrat verfasste mehrsprachige Informationstafel, die Flüchtlingen bei ihrer ersten Orientierung behilflich sein sollte, wurde nach anfänglicher Zusage vom Innenministerium verboten. Als ebenso schwierig erwies sich bisher ein Beratungsbesuch bei Flüchtlingen in der Abschiebehaft. Unabhängige Menschenrechtsorganisationen ist es oftmals unmöglich, rechtzeitig zu intervenieren zu können. RechtsanwältInnen mussten erfahren, dass sie nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zur Abschiebehaft bekommen. Immer wieder finden in der Abschiebehaft zum Teil wochenlange Hungerstreiks statt – unbemerkt von jeder Öffentlichkeit. In Eisenhüttenstadt interessieren sich nur sehr wenige Menschen dafür, was hinter diesen Mauren passiert. Aus Protest gegen die Abschiebehaft hatte z.B. D.A. im August 2000 einen Hungerstreik begonnen. Er war im Oktober 1999 vor der Einberufung zum Militärdienst nach Deutschland geflohen. 38 Hungerstreik waren notwendig, bis die Behörden in Eisenhüttenstadt reagierten und D.A. aus der Haft entlassen mussten. Zuvor hatten die Verantwortlichen perfide Wege beschritten, um den Willen von Herrn A. zu brechen und ihn von der Fortsetzung seines Streiks abzubringen. Als Herr A. unter schweren Kreislaufproblemen besinnungslos zusammenbrach, veranlasste der Arzt Dr. H. Gläser in Zusammenarbeit mit der Anstaltsleitung die Einweisung in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie im Klinikum Frankfurt (O.). Die dort behandelnden Ärzte kamen zu dem Schluss, er sei seelisch völlig gesund sein, und dass keinerlei Indikation für die Einlieferung in die Psychiatrie vorliege. Die Einweisung in eine psychiatrische Abteilung macht deutlich, dass es den Behörden nicht darum ging, Herrn A. aufgrund seiner inzwischen vorhandenen körperlich Leiden zu behandeln, sondern seinen Widerstand mit allen Mittel zu brechen und ihn zwangszupsychiatrisieren.
Damit Eisenhüttenstadt tatsächlich keinen Platz für Rassismus bietet, braucht die Stadt mehr Initiative von Menschen, denen daran gelegen ist, das unfreundliche Klima zu verändern. Doch diese Initiative kann nur erwachsen, wenn man bereit ist, die gegebene Multikulturalität nicht wegzuschliessen, sondern sie zu leben; wenn Menschen, die Fremdenhass und Fremdenangst schüren, endlich Einhalt geboten wird, und wenn das positive Engagement einiger EisenhüttenstädterInnen gestärkt und unterstützt wird.
Übrigens:
Das hässliche Wort „Abschiebung“ wird man in den Wörterbüchern des Kaiserreiches (1871-1918) und der Weimarer Republik vergeblich suchen. „Abschiebung“ ist ein Begriff aus der Nazibürokratie. So ist es auch in einem Brief von Adolf Eichmann an das Auswärtige Amt 1942 belegt, in dem er von der „Abschiebung von rumänischen Juden in das Reichkommissariat Ukraine“ spricht.