Wieder einmal hieß es Geduld üben. Der auf 9.30 Uhr angesetzte Prozess beginnt mit knapp 6 Stunden Verspätung am Nachmittag. Zwei der geladenen Zeugen, Stephan Stuchlik, in 2004 als Journalist/Redakteur beim NDR angestellt und nun Korrespondent in Moskau, und Padre Cosimo Spadafora vom Combonianer-Orden sind nicht gekommen. Als weitere Zeugen haben sich eingefunden Martin Hilbert, freier Journalist und Dokumentarfilmer aus Köln sowie Christopher Hein, Leiter des Italienischen Flüchtlingsrats (CIR) aus Rom.
Als Erster wird Hein gehört. Seit 1990 dem CIR angehörig ist er 2004 durch Pro Asyl mit der Cap Anamur in Kontakt gekommen. Als er davon erfuhr, sei das Schiff noch in internationalen Gewässern gewesen und wollte nun die Schiffbrüchigen in einen sicheren italienischen Hafen bringen. Der CIR hatte über den Vorfall Informationen von Pro Asyl sowie vom Komitee Cap Anamur erhalten. Der CIR wurde zudem vom ital. Innenministerium angesprochen, zu vermitteln und eine Lösung zu finden, was mit den Schiffbrüchigen geschehen solle, da es einen Stillstand der Geschehnisse gab. Hein sei mehrfach mir Comandante Pinto in Kontakt getreten, dem damaligen Leiter der Grenzpolizei, dem Innenministerium zugeordnet. Dem CIR lag vor allem daran, eine Lösung für die 37 Schiffbrüchigen zu finden. Wo genau die Cap A. die Männer aufgenommen hatte, wusste Hein damals nicht. Die Staatsanwaltschaft möchte wissen, ob man auch andere als ‚italienische Lösungen‘ angedacht hatte. Hein berichtet von der Idee, dass, da es sich ja um ein deutsches Schiff handelte, eine Abmachung treffen wollte, die 37 einen Asylantrag an Bord stellen zu lassen und das Asylverfahren aber in Deutschland durchzuführen. RA Bisagna, der damalige Koordinator für den CIR in Sizilien, sollte das in die Hand nehmen. Die Asylanträge – Zettel mit Unterschriften der einzelnen Schiffbrüchigen – wurden dann auch an das Bundesamt in Nürnberg weitergeleitet. Er habe es danach nicht weiter verfolgt, aber es sei letztendlich nichts aus diesem Vorhaben geworden, da sich der damalige deutsche Innenminister Schily geweigert habe, die Männer in Deutschland ins Asylverfahren zu gehen.
Die Staatsanwaltschaft ist sehr interessiert an den Verhandlungen mit Pinto. Mit ihm habe man versucht Lösungen zu diskutiert, das erschien Hein erst einmal nicht unwahrscheinlich, schließlich habe es in der Zeit weitere Anladungen von Flüchtlingen gegeben, und die waren auch nicht zum Problem geworden. Doch Pinto zieht sich zurück – ihm sei es aus der Hand genommen worden, das Innenministerium selbst habe sich im Laufe des Verfahrens zuständig erklärt, es läge nun alles beim Innenminister. Am 7.7.2004 ist Hein dann das erste Mal an Bord der Cap A. gekommen. Zu dem Zeitpunkt ist immer noch nichts geregelt. Pinto habe sich bei ihm über den humanitären Charakter der Arbeit der Cap A. informiert. Die Asylanträge seinen zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestellt worden, das sei am 11.7.04 im Beisein des Kapitäns und der Anwälte Bisagna und La Rosa geschehen. RA La Rosa sei aber am 7.7.04 auch mit ihm auf dem Schiff gewesen, man habe ihn gewonnen, da er sich mit Seerecht beschäftige. Von seinem Besuch an Bord habe Hein alle informiert, die Präfektur, die Küstenwache etc. Einziges Ziel seiner Intervention sei gewesen, eine Lösung für die Flüchtlinge zu finden. Diese haben sich zu dem Zeitpunkt schon seit 17 Tagen auf dem Schiff befunden und es war dringend nötig,
eine Lösung zu finden. Er habe Stress bei den Afrikanern feststellen können. Er habe einen sudanesischen Dolmetscher dabei gehabt. Hein erklärt, er spreche immer von Afrikanern, da man „Sudanese“ außer von der Staatsherkunft so einfach nicht sagen kann – die Menschen, die sich als Sudanesen fühlen und die Sprache sprechen, seien nicht in Staatsgrenzen zu zwängen. An Bord seien außerdem Ärzte von Emergency gewesen, die die 37 auf psychisches und physisches Befinden untersucht haben. Journalisten seien ebenfalls an Bord gewesen, so weit er wisse auf Einladung Emergencys. Die kleine Pressekonferenz, die es dann an Bord gab und von allen Anwesenden an Bord organisiert wurde, sei seiner Erinnerung nach nur auf italienische abgehalten worden und damit waren es wohl auch nur ital. Journalisten. Ob die PK irgendwohin übertragen wurde weiß er nicht. Den letzten Kontakt vor dem Besuch auf der Cap A. mit Comandante Pinto hatte Hein am 5.7.04. Danach gab es das Treffen der damaligen Innenminister Schily und Pisanu in Sheffield und es wurde klar, dass es keine einfache Lösung geben würde. Pinto war danach auch nicht mehr zuständig, sondern der Innenminister. Gespräche mit Malta, aus deren Seerettungsgebiet, die 37 „gefischt“ wurden, verliefen auch negativ, Innenminister Borg verweigerte die Aufnahme. Die Richterin möchte darauf hin wissen, ob das Schiff nicht tatsächlich viel näher an Malta war bei Aufnahme der Flüchtlinge, davon weiß Hein aber nichts, er dachte immer an Lampedusa.
Am Sonntag, den 11.7. kommt Hein noch einmal nach Agrigento. Er habe am 10.7. Kontakt mit Bierdel und Schmidt gehabt, die ihm mitgeteilt haben, dass die Situation auf dem Schiff brenzlig würde, dass es Sicherheitsbedenken gebe. Alle, auch RA La Rosa, haben von einer sehr angespannten Situation berichtet. In Porto Empedocle habe es dann ein Treffen mit allen Verantwortlichen der Behörden gegeben, doch am 11.7. gab es immer noch keine Lösung, am 12.7. gab es ein weiteres Treffen. Da hatte Pinto gerade erfahren, dass es eine Einfahrtsgenehmigung für Die Cap A. in Porto Empedocle gegeben habe. Es gibt ein Hin und Her zwischen der Verteidigung und der Richterin, die die Fragen mal wieder nicht zulassen möchte. Sie fragt schließlich, ob Hein die Situation für Flüchtlinge auf Malta kennen würde. Er berichtet über die schlechte Versorgung und Unterbringung, er habe über den UNHCR viele Informationen erhalten, die Standards seien absolut nicht erfüllt, und das sei leider auch heute noch mehr oder weniger so. Die Verteidigung fragt, ob ihm bekannt sei, dass ein Schiffbrüchiger diese „Titel“ verlieren können, Hein verneint, nach internat. Seerecht kenne er so was nicht. Es sei da nur die Rede des ersten sicheren Hafens für die Schiffbrüchigen, aber nicht, wann man sie dort hinbringen muss.
Als zweiter Zeuge wird Martin Hilbert gehört. Er habe nie FÜR das Komitee Cap A. gearbeitet, sondern einen Film ÜBER das Komitee drehen wollen. Es sei 2003 bei der Schiffstaufe gewesen und dann vom 28.6. – 2.7.04 an Bord gewesen. Er sei mit einer Gruppe von 6 Männern gekommen, 2 davon (er und ein weiterer) arbeiteten für seine Firma Aquino-Film. Ein Mitarbeiter der Besatzung der Cap A., D. Berg, sei an Bord gewesen und habe vorher eine Ausbildung an der Kamera bei ihm gemacht. Berg habe die Fahrt – nach Afrika – filmisch verfolgt und als Internettagebuch eingestellt. Dabei habe er aber keine Bilder verwenden sollen, die für den Film 25 Jahre Cap Anamur genutzt werden sollten. Ausgangspunkt des ganzen Unternehmens war immer der Film „25 Jahre Cap Anamur“! Nachdem er von der Aufnahme der Schiffbrüchigen gehört habe, habe er sich dafür interessiert und sei hingefahren. Er habe das Material, das von dem Besatzungsmitglied über den Schiffbruch gedreht wurde, nicht vorher gesehen, sondern erst an Bord. Als er von Bord ging, habe er sämtliches Material mitgenommen, da es ja seines war, er habe nichts davon an irgendjemanden übergeben. Teile des Materials hat er dann in Deutschland an den Journalisten Stephan Stuchlik vom NDR verkauft, der daraus einen Beitrag für das Magazin „Panorama“ von 5 Min 40 Sekunden erstellte. Hilbert erklärt auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft, dass er das Material nicht ÜBER Stuchlik an den NDR verkaufte, sondern Stuchlik zu diesem Zeitpunkt fest angestellter Redakteur des NDR war und an ihn heran getreten sei. Für das Material erhielt Hilbert3210,– € inkl. MWST.
Sein eigener Film über 25 Jahre Cap Anamur wurde in Deutschland fertig gestellt, doch die ARD hat nach den Geschehnissen um die Aufnahme der Schiffbrüchigen sowie aufgrund des gerade laufenden Prozesses die Ausstrahlung abgelehnt.
Die Staatsanwaltschaft fragt nach den Verträgen zwischen Aquino – Film und der Cap Anamur. Es habe keine Verträge, sondern nur die Internet-Abmachung gegeben. Diese für das Internet produzierten Filme seien nicht fernsehtauglich und mussten auch immer unter einer Minute Länge bleiben. Das Komitee Cap Anamur hat dem Film über das 25-jährige Bestehen zugestimmt, er durfte an Bord vom Besatzungmitglied drehen lassen, das waren die Abmachungen. Es gab keinerlei Abmachung finanzieller Natur. Das bedeutet, Aquino-Film hat das Kamera-Equipment und das gesamte Material in seinem Besitz gehabt.
Die Richterin möchte wissen, ob die Aufnahme der Schiffbrüchigen gefilmt worden sei und ob die Crew das Material – auch gegen Angebot einer Bezahlung – nach der Anklage wegen Beilhilfe zur illegalen Einreise von Hilbert zur eigenen Entlastung erbeten habe. Das verneint Hilbert, von ihm habe nie jemand Material erbeten. Er habe auch das Komitee Cap Anamur nicht von dem Verkauf von Teilen des Materials an Stuchlik informiert, da es sich um sein Material gehandelt habe, mit dem er machen könne was er möchte. Es gab niemals wirtschaftliche Interessen zwischen Aquino-Film und dem Komitee Cap Anamur.
Der heutige Prozesstag war wieder einmal von anstrengenden Warten und einer hin und wieder recht ungehaltenen Richterin geprägt. Der nächste Termin ist auf den 07.07.2008 verschoben worden, hier sollen möglichst das damalige Besatzungsmitglied Birgit Geiger und Zeugen der Anklage gehört werden. Sollte Frau Geiger kommen können, ist der Beginn auf 9:30 Uhr anberaumt. Da es nicht sicher ist, muss die Uhrzeit noch verifiziert werden.
Aus Agrigento: Judith Gleitze