Protokolliert von Judith Gleitze
Mit dieser Vernehmung hat ein Angeklagter erstmals die Chance, die Geschehnisse aus seiner Sicht zu schildern. Aus diesem Grunde wird der inhaltliche Verlauf möglichst genau wieder gegeben. Als erstes hatte an diesem Prozesstag die Verteidigung die Gelegenheit, den angeklagten damaligen Kapitän der Cap Anamur zu befragen. Stefan Schmidt berichtete von den ersten Ideen zum Kauf der Cap Anamur bis hin zur Rettung, der Einfahrtsverweigerung und schließlich dem Einlaufen in Porto Empedocle am 12.7.2004.
Die vorsitzende Richterin ist am heutigen Verhandlungstag das erste Mal sehr zurückhaltend und umgänglich, vielleicht liegt es daran, dass sie heute Geburtstag hat…
Die Verteidiger, hier vor allem avv. Vottorio Porzio, befragen Stefan Schmidt, wie er zur Cap Anamur gekommen sei. Das Komitee Cap Anamur habe kein eigenes Schiff besessen, deshalb entstand die Idee, eines zu erwerben, um dann die in der ganzen Welt bestehenden Hilfsprojekte mit Gütern zu beliefern und an Brennpunkten vor Ort sein zu können. Stefan Schmidt habe anfangs kein Arbeitsangebot, sondern die Anfrage zu Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Schiff erhalten. Aus diesem Grunde sei das Gehaltsangebot auch nicht mal ein Sechstel des normalen Kapitänsgehaltes gewesen. Bei der Reederei Brandt in Oldenburg wurde das Schiff dann für 1,8 Mio Euro erworben und am 15.12.2003 an das Komitee Cap Anamur in Lübeck übergeben. Stefan Schmidt wird über die notwendigen Umbauarbeiten an Bord befragt, die er anhand von Zeichnungen erklärt. Die an Deck zu sehenden Container werden als Krankenhauscontainer identifiziert, die Funktion der anderen Container wird erläutert. Einige der Container waren mit Spenden der Lübecker Bevölkerung gefüllt. Dazu gehörten z.B. mechanische Schreibmaschinen. Des Weiteren waren Sanitär-Container an Bord, die für das Hospital gedacht waren. Es stand ein Auftrag für die UNHCR aus. Der Kapitän muss an Hand von Fotos das Innere der Container bestätigen: OP-Tische, Apotheke etc.
Die Umbauarbeiten werden von Stefan Schmidt beaufsichtigt, da das Schiff in Lübeck, seiner Heimatstadt, liegt. Am 15.2.2004 findet dann unter der Beteiligung von Stadthonoratioren und einem breiten Publikum die Umbenennung des Schiffes in „Cap Anamur“ statt, die Festrede wird vom Bürgermeister der Stadt gehalten. Schmidt wird nach dem Eintrag in das Schiffsregister gefragt: es sei auf der ersten Seite kategorisiert als „Cargo Ship“ – Frachtschiff – auf der folgenden Seite des Eintrages wird spezifiziert in „humanitäres Schiff“ – „non commercial, rescue, supply and support vessel“ – damit wird die monatelange Behauptung der Anklage widerlegt, es handle sich bei der Cap Anamur um ein kommerzielles Schiff (was mit einem Blick in die Papiere sehr viel früher hätte festgestellt werden können…). Die Cap Anamur war nach Kenntnis des Kapitäns das einzige Schiff mit der Eintragung „humanitär“ auf der Welt.
Schmidt legt auf Frage des Verteidigers die vorgesehene Route der Cap Anamur nach ihrem Auslaufen aus dem Lübecker Hafen dar: sie sollte über Kiel nach Rotterdam, Lissabon, Las Palmas, Freetown (Sierra Leone), Monrovia (Liberia), Walvis Bay (Namibia), Monrovia nach Akkaba (Jordanien) führen. Ein Frachtregister gab es nicht, da die Cap Anamur keine Fracht im eigentlichen Sinne geladen hatte, es gab nur eine Ladeliste, die der Kapitän in Kategorien zusammenfassen muss: Medikamente für Liberia und Angola, Nahrungsmittel für Liberia, Fahrzeuge für das Schiff selbst sowie für Angola, Liberia und den Irak, Betten für Krankenhäuser in Liberia und Angola, medizinische Ausstattung für Hospitäler im Irak, Technik und Computer für ein Krankenhaus in Angola. Im Folgenden muss Schmidt ausführen, was in jedem der angegebenen Zielhäfen passierte: In KIEL lag die Cap Anamur im Vorhafen und nahm Proviant auf. In ROTTERDAM wurden 10 Container Krankenhausbetten für Monrovia (dort gab es ein Cap Anamur Projekt) und Treibstoff geladen. In LISSABON wurden Autos und Krankenwagen geladen, in LAS PALMAS wurde Treibstoff gebunkert, da er dort besonders preiswert war. In FREETWOWN kann sich der Kapitän nicht erinnern, er berichtet nur von einem Container der Adventisten, den die Cap Anamur mitgenommen hatte und dort ablieferte. Auf die Frage, ob dort vor Ort den Behördenvertreter und/oder auch deutsche Diplomaten an Bord kamen bestätigt der Kapitän beides: der dortige Gesundheitsminister sowie die deutsche Botschafterin hätten ihn besucht. Das Einlaufen der Cap Anamur sei eine richtig große Veranstaltung gewesen. MONROVIA erreichten sie am 22.3.2004, wo sie die Hilfsgüter für ein Krankenhaus ausluden. Der Leiter des Komitees Cap Anamur, Elias Bierdel, war vom 15.12.2003 bis – da ist sich der Kapitän nicht mehr ganz sicher – Monrovia an Bord, um zu sehen, wie die Arbeit läuft. Er kehrte aufgrund weiterer Projekte aber nach Köln zurück. In Monrovia hatte der Kapitän dann Kontakt mit einem Vertreter der UNHCR, Philippe Levieux, nach Wissen des Kapitäns der damalige Cheflogistiker der UNHCR in Genf. Das Schiff sollte für die UNHCR Bürgerkriegsflüchtlinge an der westafrikanischen Küste nach Hause fahren. Die UNHCR wollte sich das Schiff ansehen, ob es für ihre Zwecke geeignet war. Dafür waren dann einige Umbauarbeiten notwendig, die selber an Bord und in Las Palmas durchgeführt werden sollten. Nach WALVIS BAY ging es dann wieder nach MONROVIA, wo Probleme mit der Hauptmaschine auftraten. Aus diesem Grunde wurde anvisiert, Reparaturen in Las Palmas vornehmen zu lassen. Das wurde über das technische Management der Reederei geregelt. Reedereien, so der Kapitän, übernehmen das technische, kaufmännische und personelle Management. Die letzten beiden waren nicht nötig, da es sich nicht um ein kommerzielles Schiff handelte und das Komitee Cap Anamur die Personalfragen regelte. Die Reederei riet dann zur Reparatur in Las Palmas, wo die Cap Anamur am 7.5.2004 ankam. Sie konnte jedoch nur notdürftig repariert werden, da die Werkstatt in Las Palmas keine Vertragswerkstatt für diesen Typ Maschine ist, so wurde die nächste Vertragswerkstatt anvisiert, die sich auf Malta befindet. Elias Bierdel kam aufgrund der Probleme in Las Palmas wieder an Bord. Außerdem wurde eine neue Krankenschwester von ihm an Bord in den Dienst eingeführt. Auch Las Palmas hatte dem Kapitän geraten, nach Malta zu fahren, von dort sollte es dann weiter nach Akkaba gehen. Das ist durch die schon von Las Palmas angefragte Erlaubnis für die Durchfahrt durch den Suezkanal belegt. Das Technische Management regelte das Ganze, der Betreuungsagent meldete das Schiff für einen symbolischen Preis von einem US $ für die Durchfahrt an. Auf der Fahrt nach Malta gab es weitere Motorprobleme. Zudem musste das Sicherheitszertifikat des Schiffes (safety certificate) erneuert werden, dass sollte ursprünglich auf Zypern geschehen, doch durch die Schäden wurde Malta angelaufen. Auf der Fahrt wurde die Cap Anamur von einer italienischen Fregatte gestoppt, die genaue Angaben über die Ladung, die Besatzung und das Ziel haben wollte. Der Kapitän hat alle Auskünfte gegeben. Am 26.5.2004 erreichte die Cap Anamur Malta. Dort ging sie für die Reparaturen in die Werft „Dry Docks“, wo sie bis zum 4.6.2004 blieb. Sie hatten viel Besuch an Bord, auch der deutsche Botschafter war am ersten Tag da, der sich sehr erfreut über die Aktivitäten der Cap Anamur äußerte. Die Cap Anamur verließ Malta dann, da sie auf Ersatzteile warten mussten, die bisher getätigten Reparaturen überprüfen wollten und das Pier, an dem sie lag, benötigt wurde. Zwischen dem 4.6. und dem 13.6. ist die dann La Valletta auf Malta erneut angelaufen und lag dort bis zum 19.6.2004. Beide Male in Malta war Elias Bierdel an Bord. Der Kapitän wird über Bestellungen und Rechnungen befragt. Das safety certificate wurde dann in Malta ausgestellt. Alle Tests und Probefahrten wurden festgehalten, angesetzt waren mindestens 5 Tage für die weiteren Tests. Dann klarierte das Schiff in Malta aus mit dem Ziel „hohe See – auf Order wartend“ aus. Die Cap Anamur fuhr nicht wie geplant nach Akkaba, da die Lastwagendurchfahrt Syrien-Irak als zu gefährlich eingestuft wurde, es war zu Überfällen gekommen und Elias Bierdel als Leiter des Komitees wollte sich erst sichere Informationen darüber beschaffen, deshalb flog er am 19.6. zurück nach Deutschland. Die Cap Anamur sollte sich nicht so weit entfernen von Malta, falls es doch noch Probleme gäbe, für bestimmte Test waren allerdings tiefes Wasser und auch eine recht wenig befahrene Zone nötig. So ist die Cap Anamur mit langsamer bis mittlerer Geschwindigkeit um Malta herum gefahren.
Am 20.4.2004, der Kapitän hatte Wache von 8-12 und 20-24 Uhr, hat also geschlafen, wurde er am Nachmittag gegen 15-16 Uhr vom 2. Offizier geweckt. Man habe ein seltsames Boot gesichtet, ca. 5-6 Meilen entfernt. Stefan Schmidt ging auf die Brücke und sah mit dem Fernglas das kleine Boot, in dem viele Menschen saßen. Die Cap Anamur änderte ihre Route nicht, das Boot und die Cap Anamur liefen auf einem Kurs, auf dem sie sich annäherten. Da sie in der Nähe von Ölplattformen waren vermuteten sie ein Boot mir Arbeitern. Als es dann näher kam erkannten sie jedoch, dass es sich um ein Schlauchboot handelte, dass offensichtlich Luft verloren hatte und dessen Motor leicht qualmte. Zudem stand Wasser im Boot und es lag sehr tief im Wasser. Es handelte sich ausnahmslos um Schwarzafrikaner an Bord. Der Kapitän gibt an, dass ein solches Boot aus seiner Erfahrung nicht seetüchtig ist. Das Boot legte dann seitlich an die Cap Anamur an, über eine Lotsentreppe kamen die Männer des Boots unter großen Vorsichtsmaßnahmen an Bord, sie baten um Rettung, einer sprach englisch. Die Mannschaft brachte die Schiffbrüchigen mit Rettungswesten und mit Hilfe von Tauen an Bord, da sie nicht alleine gehen konnten. Der 2. Offizier durchsuchte die Männer nach Waffen und befragte sie nach Papieren. Sie hatten nichts von beiden bei sich, die meisten hatten nicht einmal Schuhe an. Die Schiffbrüchigen wurden mit Wolldecken versorgt und von der Krankenschwester untersucht und befragt. Sie hatten kleinere Verletzungen, aber keine ernsthaften, alle waren jedoch stark unterkühlt und wurden auf das Zwischendeck geführt, wo sie heißen Tee erhielten.
Auf die Frage nach der Entfernungen zum nächst gelegenen Land gibt Stefan Schmidt aus dem Gedächtnis 50-60 Seemeilen bis Libyen, 160 Seemeilen bis Malta und 90 Seemeilen bis Lampedusa an. Libyen war also der nächstgelegene Hafen, dort wollte der Kapitän jedoch die Schiffbrüchigen, die angaben, aus dem Sudan zu sein, nicht hinbringen, da jeder weiß, dass dort die Menschenrechte nicht geachtet werden und er zudem Angst um sein eigenes Schiff hatte. Als deutscher Kapitän sei er verpflichtet, einen sicheren Hafen anzulaufen, das sei in Libyen nicht gegeben. Schmidt nahm sofort Kontakt zum Büro des Komitees Cap Anamur in Köln auf. Er hat dem Leiter Elias Bierdel alles berichtet. Die Verteidigung legt dem Kapitän eine nautische Karte vor, auf der er noch einmal die Entfernungen berechnet: Tunesien (Schmidt sagt Tunesien, nicht Libyen) 50 Seemeilen, Lampedusa 80-85 Seemeilen, Malta 150 Seemeilen, Porto Empedocle (Sizilien) 210 Seemeilen. Das Komitee Cap Anamur entschied, dass die Cap Anamur nach Lampedusa fahren soll, der nächstgelegenen europäischen Insel mit einem sicheren Hafen. Auf die Frage, was genau den ein „sicherer Hafen“ bedeute, antwortet der Kapitän, das sei ein Hafen, in dem die Menschenrechte eingehalten werden, eine gute ärztliche Versorgung und rechtlichen Verhältnisse gewährleistet sind, die man als deutscher Kapitän als gesichert versteht. Ob es denn eine gesonderte deutsche Norm der Seerettung gebe, und was dort vorgesehen und verpflichtend sei, wird er gefragt. Das deutsche Strafgesetzbuch sehe Strafe für unterlassene Hilfeleistung mit bis zu 3 Jahren Haft vor. Personen wie ein Kapitän wissen, dass sie durch das Seerecht und das Völkergewohnheitsrecht zur Rettung verpflichtet sind und nicht Gerettete sterben könnten. Unterlassene Hilfeleistung bedeutet in diesem Falle Totschlag durch Unterlassung, das Strafmaß kenne er nicht.
Lampedusa wurde nicht sofort angelaufen, da es keine Seekarten für diese Gegend an Bord gab und sie die Schiffbrüchigen zudem einen Tag ausruhen lassen wollten, um sie dann genauer zu befragen.
Am 21.6.2004 haben die Afrikaner dann erst einmal geschlafen und sich erholt, das Komitee hat sich um Informationen zu Lampedusa bemüht. Eine Karte sowie ein „guide to port entry“, also ein Führer zu Hafeneinfahrten wurden benötigt.
Am 22.6.2004 wurden die Schiffbrüchigen durch die Krankenschwester und den 1. Techniker an Bord befragt. Jeder hat einen Fragebogen bekommen, der ausgefüllt an das Komitee Cap Anamur übermittelt wurde. Dazu wurde aufgelistet, was die Schiffbrüchigen bei sich hatten – in ihrem Falle außer der Kleidung nur ein in arabisch geschriebenes Papier, was sich übersetzt als eine Sure aus dem Koran erwies, einem Gebet für die Überfahrt. Bei der Befragung habe man festgestellt, dass sie fast alle aus dem Sudan kommen. Alle Informationen wurden an das Komitee übermittelt. Das Komitee, so der Kapitän, sei schließlich eine humanitäre Gesellschaft und werde sich um den weiteren Verbleib der Flüchtlinge kümmern. Die Testfahrt des Schiffes wurde fortgesetzt, während man auf Informationen zu den Geretteten wartete. Da diese keine schwereren Verletzungen aufwiesen sah man darin keine Gefahr. Während der weiteren Testfahrt fuhr die Cap Anamur auch langsamer und schaltete die Maschinen auch ganz ab, um diese auch abkühlen zu lassen. Als die Informationen zu Lampedusa vorlagen prüften der Sicherheits- und der Navigationsoffizier die Angaben und stellten fest, dass die Cap Anamur zu lang für den Hafen Lampedusa war. Die größte Länge für den Hafen und den Ankerplatz vor dem Hafen Lampedusas wird mit 80 m beziffert, die Cap Anamur hatte über 90 m Länge. Zudem dürfen nur Kapitäne mit lokalen Kenntnissen Lampedusa anlaufen. Daraufhin fiel die Entscheidung gegen Lampedusa. Komiteeleiter Bierdel sollte einen neuen Hafen suchen und meldete einen Tag später „Port Salò“, was man auf der Cap Anamur aber auf keiner Karte finden konnte und dies dem Komitee auch verärgert mitgeteilt habe. Dieser Name kam aufgrund einer Konversation mit dem Team der Ärzte ohne Grenzen auf Sizilien zustande, die in Französisch geführt wurde. Der Name wurde falsch übermittelt, gemeint war „Pozzallo“. Das stellte sich jedoch wiederum erst einen Tag später heraus. Der Kapitän habe dann herausgefunden, dass Pozzallo über einen noch kleineren Hafen als Lampedusa verfüge und damit auch ausfiele, das war ungefähr am 26.6.2004. Schließlich fällt die Entscheidung im Hauptsitz des Komitees für den Hafen von Porto Empedocle bei Agrigento. Der technische Manager wurde beauftragt, einen Schiffsagenten für den Hafen zu suchen. Bierdel habe den Kapitän dann auch informiert, dass er Kontakt zum Italienischen Flüchtlingsrat CIR aufgenommen habe, da es sich um eine humanitäre Organisation handele und man die Flüchtlinge nat. auch rechtlich in gesicherten Umständen an Land bringen müsse, zumal sie angaben, aus dem Krisengebiet Sudan zu kommen. Es wurde auch von politischem Asyl gesprochen. Am Telefon wurde geklärt, dass es aufgrund des humanitären Auftrages nicht genüge, wenn der Kapitän allein an Bord sei, sondern der Leiter des Komitees sollte auch vor Ort sein.
Am 26.6.2004 ca. wurden die Probefahrten beendet. Elias Bierdel kam in internationalen Gewässern mit einem Boot aus Djerba (Tunesien) an Bord der Cap Anamur. Bei ihm waren der „Haus“fotograf des Komitees und zwei Fernsehteams von arte und dem ZDF. Arte drehte gerade einen Bericht über 25 Jahre Komitee Cap Anamur, das ZDF hatte eine dpa – Meldung auf den Fall aufmerksam gemacht, so denkt der Kapitän. Stefan Schmidt weiß nur von der dpa-Meldung, andere Meldungen zwischen dem 26. und 28.6. sind ihm nicht bekannt. Der gefundene Schiffsagent Tagliavia fragte dann die Daten und Konditionen der Cap Anamur an. Dem Agenten wurden alle Informationen über die Geretteten gegeben. Tagliavia sagte, er benötige das für die ital. Behörden. Die Verteidigung fragt noch einmal nach, warum die Cap Anamur nicht nach Malta gefahren sei mit den Geretteten: Der Kapitän antwortet, dass man die Geretteten normalerweise in das nächstgelegene europäische Land bringt, zudem sei ihm bei den langen Aufenthalten auf Malta durch Kontakte bewusst geworden, dass Flüchtlinge in Malta erstmal bis zu zwei Jahren ohne Verhandlung ins Gefängnis gehen, das sei für ihn kein sicherer Hafen.
Die ersten eigenen Kontakte mit italienischen Behörden hatte der Kapitän in der Nacht vom 30.6. auf den 1.7.2004, gegen 23.30 Uhr. Er weiß nicht, ob es Behördenmitarbeiter waren, er hat mit Radio Palermo gesprochen. Die Verbindung sei sehr schlecht gewesen, Radio Palermo wies an, Lampedusa anzulaufen, der Kapitän meldete, dass das aufgrund der Größe des Schiffes und der Ortsunkundigkeit nicht gehe. Sie seien für Porto Empedocle angemeldet. Radio Palermo fragte auch nach den 37 Geretteten, schlug aber niemals vor, diese an die Küstenwache zu übergeben! Die Gespräche sind aufgezeichnet und dem Kapitän von der Verteidigung auch als Kopien zur Verfügung gestellt und als korrekt bezeichnet worden. Noch in internationalen Gewässern hatte der Kapitän dann auch Kontakt zur italienischen Küstenwache. Der Agent hatte das Schiff inzwischen beim Lotsen angemeldet, dieser fragte, wann die Cap Anamur beim Lotsenpunkt sei. Der Lotse wurde gefragt, ob er die Einfahrtgenehmigung für die nationalen Gewässer habe, was dieser bejahte. Da es mehr als 24 Stunden zwischen Anmeldung und Einfahrt bedarf fragte der Kapitän nach, ob sie schon einfahren dürften, da sie früher am Lotsenpunkt seien. Über Kanal 16 UKW erhielt der Kapitän eine positive Antwort.
Das Gespräch mit der Küstenwache fand dann noch in internationalen Gewässern und ohne Nennung eines Namens statt.
Das Gericht mischt sich in diesem Moment in die Befragung ein und fragt nach, was ein Schiff denn in einem SAR-Falle tun würde – ein Sea-and-rescue, also ein Seenotrettungsfall. Eine an dieser Stelle unverständliche Frage, die aber vom Kapitän beantwortet wird: in einem SAR-Fall ruft ein Schiff in Seenot Hilfe an, dann fahren alle dahin, die diese Meldung hören. Warum die Cap Anamur nicht einen SAR-Fall gemeldet habe? Die Cap Anamur sei die Rettungseinheit gewesen, habe die Schiffbrüchigen gerettet und habe damit keinen Alarm mehr auslösen müssen, der nach sich gezogen hätte, dass alle Einheiten, Küstenwache, Militär etc., an den Ort gefahren wären, an dem aber die Rettung längst vollzogen war.
Die Küstenwache meldet sich erst am 1.7.2004 gegen 11:20 Uhr wieder: die Einfahrt in die italienischen Gewässer werde verweigert! Gründe wurden nicht genannt. Der Kapitän gibt an, schon sehr nah an der 12-Meilen-Zone, also den territorialen Gewässern Italien gewesen zu sein, so dass er 3-5- Meilen auf offene See zurückfuhr, um nicht unfreiwillig in die nationalen Gewässern zu treiben. Dort lag das Schiff dann vom 1.7. bis zum 11.7.2004.
Es fand eine Überwachung durch italienisches Militär statt: Kriegsschiffe, Flugzeuge…Eine Einfahrt in die territorialen Gewässer wurde nicht versucht.
Die Verteidigung fragt, ob vom 1. bis zum 5.7.2004 Personen von der „Piga“ die Cap Anamur besucht hätten [Boot von emergency, Anm. der Protokollantin], Schmidt verneint, da den Mitarbeitern das Betreten der Cap Anamur verboten worden war, sie seien gar nicht an Bord gekommen. Andere Besucher kamen an Bord, ab dem 2.7. wurden Lebensmittel gebracht, Journalisten kamen erst später. Von den Ärzten ohne Grenzen (MSF) seien glücklicherweise Ärzte an Bord gekommen, die die 37 Geretteten noch mal untersucht hätten.
Die Verteidigung fragt, wie die Schiffbrüchigen nach dem Stopp reagiert hätten – es habe Unverständnis geherrscht, sie hätten in kleinen Gruppen zusammen gestanden und aufgeregt diskutiert. Die Krankenschwester sei besorgt gewesen, dass Aggressionen und Depressionen steigen, und er habe beim Komitee angefragt, was er tun solle, wenn die Situation eskaliere. Die Wachen seien verschärft worden. Auf Nachfrage der Richterin gibt der Kapitän an, dass sich 9 Personen Besatzung und der Kapitän an Bord befanden.
Es haben sich auch sehr viele Institutionen aus Sizilien vom 1.-5.7.2004 an das Schiff gewandt, unter ihnen der Abgeordnete Michicchè, doch all diese Gespräche seien mit Elias Bierdel geführt worden. Er habe auch mit den deutschen Ministerien telefoniert sowie mit dem Italienischen Flüchtlingsrat.
Nach dem 6.6.04 wurde erstmals bekannt, warum die Behörden die Einfahrt verweigert hatten, diese Informationen gingen aber direkt an das Komitee Cap Anamur. Die Direzione Centrale Immigrazione e Polizia di Frontiera (Zentraldirektion für Migration und Grenzpolizei) habe wohl ein Fax nach Köln geschickt, die Cap Anamur habe es dann via Funk am 7.7.04 erhalten. Das Komitee habe geantwortet, was darin stand, auch wenn sie vom Schiff abgesetzt wurde, weiß der Kapitän nicht, er habe sie nicht geschrieben. Papiere belegen, dass die Antwort von Elias Bierdel unterzeichnet und am 8.7.04 von der Cap Anamur abgesandt wurde. Der Kapitän erinnert sich an den folgenden Grund des Innenministeriums, die Einfahrt zu verweigern: die Schiffbrüchigen wären zu lange an Bord gewesen und deswegen wäre ihnen von Staats wegen der Status „Schiffbrüchiger“ aberkannt worden. Er habe nicht gewusst, was er davon halten sollte, da es eine Möglichkeit der Aberkennung gar nicht gebe.
An Bord war auch der Direktor des italienischen Flüchtlingsrats (CIR), Christopher Hein, gesprochen habe der aber mit Elias Bierdel. Dieser habe ihn aber über die Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten, aber oftmals ging alles sehr schnell, manchmal hätten sich die Ereignisse überschlagen, so Schmidt. Am 10.7.04 erfuhr der Kapitän, dass die Verhandlungen des CIR keinen Erfolg hatten.
Der 7.7.04 sei auch schon ein schwerer Tag für das Schiff und die Besatzung gewesen, da man da vernommen habe, das Schiff sei im Hafen nicht erwünscht. Es sei sehr schwer gewesen, den Geretteten diese Aussage zu vermitteln. Sie hätten jeden Abend einen Gottesdienst abgehalten, um sie zu beruhigen, die Krankenschwester habe begonnen, Beruhigungsmittel auszuteilen. Es habe Zusammenbrüche und auch Drohungen seitens der Schiffbrüchigen gegeben, ein Journalist wurde von einem der Afrikaner angegriffen, ebenso ein Beatzungsmitglied, das sich besonders viel um die Männer gekümmert hatte. Am 10.7.04 hätten dann viele gedroht, sich ins Meer zu stürzen.
Es waren zwei Combonianer-Mönche an Bord, die der Erzbischof von Agrigento nach Anfrage des Kapitäns geschickt hatte, da er selber zu alt sei. Diese Mönche hatten Erfahrungen im Sudan. Padre Cosimo sprach auch englisch und habe sich mit allen unterhalten. Er bestätigte, dass viele Männer aus dem Sudan kämen. Die Situation habe sich also vom 7.7. bis 10.7. als immer schlimmer werdend erwiesen. Niemand habe mehr geschlafen, am 11.7. stellte sich einer der Flüchtlinge auf die Reling und wollte springen, er konnte von den Combonianern zurückgehalten werden. Alle waren sehr erregt, traten gegen das Schiff, zwei oder drei Männern mussten Beruhigungsmittel verabreicht werden.
Da die Sicherheit des Schiffes nicht mehr gewährleistet war musste eine Entscheidung getroffen werden! Es wurde ein Schiffsrat abgehalten (vorgeschrieben im deutschen Seemannsgesetz). Die Offiziere kamen auf der Brücke zusammen, die Situation wurde geschildert, Vorschläge können gemacht werden, aber die Entscheidung des Kapitäns ist bindend. In diesem Falle waren alle Offiziere und der Kapitän einer Meinung: es musste eine Meldung an die italienischen Behörden gehen, dass die Situation so ernst sei, dass die Sicherheit nicht mehr garantiert werden kann. Die italienischen Behörden wurden gebeten, die Einfahrt in den nächsten 12 Stunden zu gestatten, da der Kapitän sich sonst gezwungen sähe, einen internationalen Notfall zu erklären und den nächsten Hafen als Nothafen anzulaufen. Das wurde an die Küstenwache (zwei Mal) und an die Seenotrettungsstelle Palermo gesandt. Etwas später ging die Meldung auch den Agenten Tagliavia, da ein Lotse nötig werden würde. Tagliavia sollte den Lotsen bestätigen.
Ein Küstenwachboot begleitete die Cap Anamur in Richtung Hafen. Eine halbe bis eine Meile vor dem Hafen wurde das Schiff angewiesen zu ankern, was der Kapitän sofort befolgte. Es kam ein, so glaubt der Kapitän, man habe es ihm aber nicht gesagt, Hafenarzt für die Gesundheitsdeklaration an Bord. Er hat die 37 Männer wohl untersucht, der Kapitän sei aber nicht dabei gewesen, da er auf der Brücke war. Die Gesundheitserklärung sei dann von ihm als Kapitän unterzeichnet worden. Es seien keine Krankheiten zu verzeichnen, Schmidt habe dem Arzt aber erklärt, der psychische Stress, unter dem die 37 stünden, müsse mit aufgenommen werden. Er habe den Bogen zwar nicht lesen können, da er in Italienisch aufgefüllt war, aber er vertraue einem italienischen Behördenvertreter, der ihm gesagt habe, er nehme den Gesichtspunkt auf. Es sei noch ein weiteres Boot mit Polizisten gekommen, die ihnen kleine Wasserflaschen und Pommes Frites gebracht hätten, was sie sehr verwundert hätte. Am Abend des 11.7.04 seien die Offiziere alle auf der Brücke geblieben, da sie Angst gehabt hätten, dass die Situation doch noch eskaliert. Elias Bierdel, die Combonianer und zwei Mann der Besatzung seien bei den Flüchtlingen geblieben. Nach Mitternacht sei Ruhe eingekehrt.
Am 12.7.04 erhielt sie kurz nach 10 Uhr die Einlauferlaubnis der Küstenwache auf Kanal 16 UKW. Comandante Rando von der Küstenwache Agrigento hatte ausgesagt, mehrfach Kontakt mit der Cap Anamur aufgenommen zu haben, doch der Kapitän sagt aus, dass diese Meldungen immer ohne Namen erfolgten. Es habe nur einen Kontakt wegen des Einfahrtsverbots gegeben sowie einen Kontakt wegen der Notmeldung. Schmidt habe bei der Küstenwache angefragt, ob sie seine Notmeldung bekommen habe, was verneint wurde, worauf er sie noch einmal absetzte.
Die Aussage, die Notmeldung sei wegen Wasser- und Treibstoffmangel raus gegangen, wie Comandante Rando und andere behauptet haben, sind nicht korrekt, wie Schmidt betont.
Die Schiffbrüchigen wurden am 12.7.2004 von Bord geholt. Auf die Frage der Verteidigung, ob der Kapitän jemals behauptet habe, die Männer seien am 30.6.04 statt am 20.6.04 gerettet worden, verneint dieser, das belege auch das Logbuch. Diese Behauptung wurde aus dem Oberkommando der Küstenwache in Rom (ein Herr Lolli) mehrfach aufgestellt. Der Kapitän habe niemals mit diesem Herrn Lolli gesprochen.
Auf die Frage, ob er in Deutschland strafrechtlich verfolgt werde, verneint Schmidt erneut. Ob er jemals daran gedacht habe, italienisches Recht zu verletzen? Nein, er wollte niemals italienisches Recht brechen. Er sei auch nach Erhalt der Begründung des Einlaufverbots der Meinung gewesen, er habe internationale und deutsche Gesetze befolgt, die könne man nicht einfach umschreiben. Italienische Gesetze können doch nicht gegenläufig zu internationalem Seerecht sein.
Eine Frage richtet sich auf die Verantwortlichkeiten an Bord – auch bei einem Schiffsrat ist der 1. Offizier abhängig vom Urteil des Kapitäns, alle Entscheidungen werden nur vom Kapitän getroffen. Somit hatte auch der 1.Offizier keinen Kontakt z.B. mit o.g. Herrn Lolli, da das alles über den Kapitän hätte laufen müssen. Es werden noch weitere Aussagen aus vorangegangenen Prozesstagen widerlegt, so z.B. die angebliche Anwesenheit in der Nähe von Hart Banks bei Malta, wo das Schiff nie gewesen sei.
Die Verhandlung wird gegen 19 Uhr geschlossen. Der nächste Termin ist am 14.01.2008, 9 Uhr. Hier wird die Befragung des Kapitäns mit einem Kreuzverhör (die Anklage wird nun fragen) fortgesetzt.