Eintrag von Judith Gleitze unter Mitwirkung von Germana Graceffo
Der heutige Prozesstag fing, wie schon so oft, wieder einmal mit einiger Verspätung an. Doch nicht die wieder einmal nicht interessante Zeugenvernehmung lässt ernsthaft an der Prozessführung zweifeln, heute ging es gegen die Prozessbeobachterinnen.
Drei Zeugen waren für diesen Tag geladen, die Anwälte aus Neapel waren nicht anwesend, da es sich, wie beim ersten Zeugen Salvatore Scarantino, damals in der Capitaneria del Porto (Hafenmeisterei) von Porto Empedocle angestellt, sofort zeigte, auch nicht nötig war. Scarantino sagte kaum mehr als seinen Namen und wurde dann als nicht weiter dienstlich entlassen. Der zweite Zeuge, Signor Savino, zum damaligen Zeitpunkt bei der Guardia di Finanza (Zoll) in Porto Empedocle, sollte über den 11.7.2004 berichten. Er gehörte der operazione navale an und hatte die Aufgabe, die Cap Anamur (CA) zu begleiten, als diese gegen 12:45 Uhr den Hafen in Porto Empedocle anlief. Savino bekam über Funk die Order, der CA, die sich noch circa drei Seemeilen vor dem Hafen befand, entgegenzufahren. Um die CA herum befanden sich schon mehrere Schiffe der Küstenwache und der Polizei, das Schiff selber fuhr nicht. Bis zum 12.7. gegen 8 Uhr morgens sei er da gewesen. Auf die Frage, wie viele Menschen, vor allem Nicht-Europäer, sich an Bord befunden hätten, wusste er keine Antwort. Als man ihm seine damalige Aussage zum Lesen gab, bestätigte er diese, es seien 37 „extra-comunitari“ – Nicht-Europäer – an Bord gewesen. Als die CA dann in den Hafen einfuhr wurde sie von Savinos Schiff flankiert, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge das Schiff unerlaubt verlassen (!). Auf die Frage, ob die CA alle Anweisungen beachtet hätte sagte Savino, es habe seinerseits keine Anweisungen gegeben, die zu beachten gewesen wären. Das Schiff hatte die Order zu halten, als es dazu aufgefordert wurde, habe es das getan, aber ein Schiff dieser Größe brauche nun mal 100-200 Meter an Bremsweg, bis es zum Stehen kommt. Auf jeden Fall sei die CA dann sehr langsam in den Hafen eingefahren. Savino wird entlassen, und was nun folgt ist der bisherige Höhepunkt der Prozessbeobachtung.
Ein gewisser Signor Suato (?) wird in den Zeugenstand gerufen, er arbeitete für die Guardia Costiera, die Küstenwache. Was der Herr auszusagen hatte konnten wir als Prozessbeobachterinnen aus Italien und Deutschland leider nicht verfolgen: Zwei Carabinieri und ein Mitarbeiter der Anti-Terror-Sicherheitspolizei DIGOS baten uns, sie hinaus zu begleiten, während der Zeuge seine Aussage machte. Wir berufen uns beide auf unser Recht, einem öffentlichen Prozess zu folgen und weigern uns. Es handele sich um eine Ausweiskontrolle, wir sollen bitte mit raus kommen, insistieren alle drei. Daraufhin geben wir beide unsere Papiere und bitten die Herren, uns nun in Ruhe zu lassen, da wir dem Geschehen gern folgen möchten. Doch sie lassen nicht locker, ebenso wenig wir, die italienische Kollegin schlägt inzwischen ungehalten vor, dass wir uns gern nach der Aussage draußen unterhalten können. Sie nehmen unsere Papiere mit und kontrollieren diese am anderen Ende des Saals, schreiben alles auf. Dann kehren sie zurück und fragen mich, welcher Nationalität ich sei und ob ich italienisch spreche. Meine italienische Begleiterin besteht nun eindringlich darauf, uns endlich unsere BürgerInnenrechte zu gewähren und uns zuhören zu lassen. Der Mitarbeiter der DIGOS, ein junger Mann in Zivil, insistiert jedoch: was schreiben Sie denn da? Sind Sie Journalistinnen? – Nein, interessierte Bürgerinnen, die gerne ihr Recht in Anspruch nehmen würden, einem öffentlichen Prozess beizuwohnen und ihm auch folgen zu können, außerdem gehe ihn das nichts an, wie wir ihn beide wissen lassen. Inzwischen ist die Zeugenvernehmung so weit fortgeschritten, dass wir nicht mehr wissen, um was es geht. Die italienische Kollegin ruft per sms zwei befreundete Anwälte herbei, die sich im Gerichtsgebäude aufhalten. Als sie kommen erklärt sie ihnen im Saal leise, aber sichtlich verärgert, was gerade geschehen ist. Die Carabinieri lassen von uns ab und verschwinden, während sich der DIGOS-Mitarbeiter ans andere Ende des Saals setzt und uns nicht mehr beachtet.
Es ist nicht klar erkennbar, warum man uns so behandelt – es scheint an diesem Tag einen Prozess mit großer DIGOS-Beteiligung zu geben, doch wenn aus diesem Grunde Kontrollen durchgeführt werden sollten, so hätte man das gleich bei Betreten des Gebäudes, das mit einem Metalldetektor ausgestattet ist und wo wir uns durchleuchten lassen mussten, machen können. Hier fragte jedoch niemand nach unseren Papieren. Also scheint es ein ernsthafter Versuch zu sein, die auch dem Gericht nun langsam vom Sehen hinlänglich bekannten ProzessbeobachterInnen einzuschüchtern und endlich einmal heraus zu bekommen, wer denn da immer sitzt.
Fakt ist, das hier ohne eine plausible Begründung BürgerInnenrechte beschnitten wurden, da es uns beiden faktisch verweigert wurde, einem öffentlichen Prozess in seiner Gänze zu folgen. Ein skandalöses Vorgehen, das sich in die gesamte Farce, die dieser Prozesses darstellt, einfügt.
Wir sind gespannt, was uns am 24. September erwartet, wenn die Verhandlung fortgesetzt wird.
Judith Gleitze