h6. Olaf Löhmer ist Mitglied des Flüchtlingsrates Brandenburg und besucht Abschiebehäftlinge in Eisenhüttenstadt
Ein kleiner Bau gesichert mit Videokameras und endlos wirkendem, eng geschlungenem Stacheldraht. Eine kleine Festung im Südosten des Landes Brandenburg, nahe der deutsch-polnischen Grenze. Weitab von der öffentlichen Wahrnehmung: die Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt. Hier werden Menschen inhaftiert, deren Abschiebung vorbereitet wird. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, weil beispielsweise die Gefahr ihres Lebens in der Heimat für nicht bedrohlich erachtet wurde. Sie sitzen teilweise monatelang ein, ohne etwas verbrochen zu haben. Olaf Löhmer erzählt. Sein Gesicht ist gezeichnet von Fassungslosigkeit. Die Zustände für die dort lebenden Menschen seien einfach unmenschlich. Seit Jahren engagiert sich der Student für die Rechte von Asylsuchenden im Land Brandenburg, beispielsweise warb – und wirbt – er für die Abschaffung der Wertgutscheine für Asylsuchende.
Auf den Aktionstagen der JungdemokratInnen/Junge Linke im vergangenen Frühling erfuhr das Mitglied des Brandenburger Flüchtlingsrates vom Leben in der Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt. Löhmer las Berichte vom Leben hinterm Stacheldraht, beispielsweise von Alice Mutoni Kamau, die nach eigenen Aussagen in die Beruhigungszelle Nummer 2007 gesperrt und auf einem mit Plastik bedeckten flachen Gestell gefesselt wurde. Er zitiert aus ihrem Bericht: „Sie fesseln deine Hände, deinen Bauch und deine gespreizten Beine. “ Die Kenianerin wurde mehrmals fixiert – „bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte“. Anfang Oktober 2003 waren es über zehn Stunden, was die Zentrale Ausländerbehörde für Asylbewerber bestätigt. Dabei gilt die Fixierung als körperlicher Eingriff in die Freiheit. „Selbst im akuten Notfall muss eine richterliche Genehmigung eingeholt werden“, erklärt Hubert Heinhold, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl auf Nachfrage. Wenn von dieser Form der Beruhigung eines Menschen in psychiatrischen Abteilungen von Krankenhäusern Gebrauch gemacht wird, „muss diese Maßnahme alle 15 Minuten neu entschieden werden“. Kamau wurde Ende des vergangenen Jahres in Handschellen abgeschoben. Doch das ist ein anderer Bericht.
Dem Anfang der 90er gegründeten Flüchtlingsrat liegen zahlreiche Begebenheiten von Inhaftierten vor. In ihnen wird über mangelnde medizinische und psycho-soziale Versorgung gesprochen. Dazu kommen fehlende Qualifikationen und fehlende Fremdsprachenkenntnis des Personals, ganz zu schweigen von dem Angebot einer Rechtsberatung.
Alle ein bis zwei Wochen fährt Olaf Löhmer von Potsdam nach Eisenhüttenstadt. Mittags nimmt er den roten Doppelstockzug. Drei Stunden lang führt ihn seine Reise vorbei an den glatten Fassaden der Regierungsgebäude in der Bundeshauptstadt und der friedvollen Landschaft hin in eine andere Welt, von der er früher nichts ahnte. Jeder Abschiebungshäftling darf, wie es in der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nummer 2470 der PDS vom Oktober 2003 heißt, „täglich in der Zeit zwischen neun und 11.30 Uhr und in der Zeit von 14 bis 18 Uhr Besuch empfangen“. Die Besuchszeit ist auf täglich eine Stunde begrenzt. Das erste Mal war Olaf Löhmer bereits gegen halb zwei Uhr vor Ort, um die Zeit auszunutzen. „Das war etwas naiv“, kommentiert der aus Hannover Stammende zynisch. „Pünktlich um 14 Uhr beginnt der Einlass für die Besucher.“ Nachdem der Name des zu Besuchenden notiert wird, beginnt eine intensive Kontrolle: Erste Schleuse – Pförtner: Abgabe des Personalausweises und Aushändigung der Besucherkarte. Zweite Schleuse – Pförtner: Warten auf einen Mitarbeiter, der den Besucher zur nächsten Kontrolle führt. Dritte Schleuse – auf dem Haftgelände: Kontrolle der Sachen. „Die ersten zwanzig Minuten sind dann vorbei.“ Die verbleibende Zeit nutzt der 26-Jährige zum Gespräch mit mindestens zwei Menschen. Er möchte wissen, ob sein Gegenüber Bedürfnisse hat wie Kontakt zum Anwalt, Probleme mit dem Personal oder Nachrichten für Freunde.
Der 26-Jährige erfährt von der täglichen Stunde Freigang, „auf dem eingezäunten Gelände“, den 18 Quadratmeter großen Zellen für bis zu drei Menschen mit unverschließbaren Schränken und der Angst vor der ungewissen Zukunft. Manchmal bringt er Eingeschweißtes wie Kekse, Getränke oder einfach Geld zum Telefonieren mit. Diese Hilfe sei nebensächlich. „Die Angst vor der Zukunft ist das zentrale Problem.“ Eine Abschiebung sollte nach Möglichkeit verhindert werden. Für die Zeit der Inhaftierung benötigten die Gefangenen Solidarität und Kraft. „Die Menschen sitzen dort, weil der Verwaltungsvorgang, Abschiebung‘ vorbereitet wird.“
Nach seinen Besuchen und regelmäßigen Telefonaten mit den Menschen in der Einrichtung sucht Löhmer das Gespräch mit seinen Mitstreitern vom Flüchtlingsrat, mit Seelsorgern und Anwälten. So konnte eine Frauenberatung aus Frankfurt (Oder) gewonnen werden, die die Frauen hinter dem Stacheldraht besucht. Kopfzerbrechen bereite dem Flüchtlingsratsmitglied die fehlende kostenlose Rechtsberatung. Der nächste auf Asylrecht spezialisierte Anwalt sei in Berlin zu erreichen.
Vor zwei Jahren bat die Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwalt Vereins das brandenburgische Innenministerium um die Genehmigung einer regelmäßigen Rechtsberatung, doch die wurde die mit der Begründung „kein Bedarf“ abgelehnt.
Problematisch erscheinen Olaf Löhmer die haftähnlichen Bedingungen. „Wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen erstmals im Gefängnis sitzen.“ Erst Abschiebehaftanstalten wurden in der Bundesrepublik Anfang der 90er Jahre eingerichtet. Laut Flüchtlingsrat werden bundesweit jährlich mehr als 50 000 Menschen abgeschoben. Brandenburgs Haftanstalt wurde 1997 mit 108 Plätzen in Betrieb genommen. Seit ihrem Bestehen haben 3 346 Personen die Einrichtung zu „Haftabschiebungszwecken“ verlassen. Die durchschnittliche Haftdauer betrage 29 Tage und überschreite in keinem Fall die maximale Inhaftierungsdauer von 18 Monaten.
Für den Studenten der Biologie und Geografie ist diese Arbeit eine eindrucksvolle Erfahrung. „Ich lerne Zustände kennen, von denen ich nichts erfahren hätte.“ Mit ihnen abfinden möchte er sich nicht. Und so will er weiter versuchen den Menschen, die aus welchem Grund auch immer den Weg hierher gefunden haben, zu ihrem Recht auf „menschenwürdige Bedingungen und Chancen“ zu verhelfen.
Ulrike Strube