h6. Frank Jansen, Tagesspiegel
Zumindest ein Teil der in Brandenburg lebenden Flüchtlinge ist nicht länger bereit, die als demütigend empfundenen Lebensbedingungen hinzunehmen. Die Asylsuchenden im Land hätten begonnen, sich zu organisieren, sagte gestern in Potsdam Christopher Nsoh, Sprecher einer Flüchtlingsgruppe aus Rathenow. Diese hatte in den letzten zwei Wochen zehn Asylbewerberheime im Land besucht und überall Klagen zu hören bekommen. Unterdessen haben Bildungsminister Steffen Reiche und Sozialminister Alwin Ziel (beide SPD) Verständnis für die protestierenden Flüchtlinge geäußert.
Die Flüchtlingsgruppe hatte in Spremberg, Guben, Cottbus, Frankfurt (Oder), Hennigsdorf, Jüterbog, Luckenwalde, Belzig, Potsdam und einem weiteren Rathenower Heim mit Asylbewerbern gesprochen. Dabei wurde offenbar überall beschlossen, sich mit einem Memorandum an die Landesregierung zu wenden. Im Februar hatten die Flüchtlinge aus Rathenow angesichts der rechten Überfälle in einem offenen Brief, der großes Aufsehen erregte, die Verlegung aus Brandenburg in ein anderes Bundesland gefordert.
Die mit Christoper Nsoh nach Potsdam gekommenen Asylbewerber brachten Memoranden aus Heimen in Guben, Cottbus und Frankfurt (Oder) mit. Trotz der darin vorgebrachten, gravierenden Klagen ist nicht von einer Verlegung die Rede. Christopher Nsoh stellte aber klar, dass diese Forderung nur zurückgestellt sei. Er kündigte an, „wenn sich in ein bis zwei Monaten die Situation nicht verbessert, müssen wir demonstrieren“. In teilweise dramatischem Tonfall ergänzten Flüchtlinge aus Frankfurt (Oder), Hennigsdorf, Rathenow und Luckenwalde die Schilderungen von Nsoh. Beklagt wurde vor allem, dass Asylverfahren meist Jahre dauern, Heime oft in abgeschiedenen Wäldern liegen, mehrere Personen in winzigen Räumen eingepfercht sind und das Gefühl des Eingesperrtseins noch durch die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf Landkreis oder Kreisstadt ins Unerträgliche gesteigert wird. Außerdem sei es schwer, Urlaubsscheine zu erhalten, die für wenige Tage das Verlassen der zugewiesenen Region ermöglichen. Den Flüchtlingen macht auch zu schaffen, dass es nahezu unmöglich ist, eine Arbeit zu bekommen. Einhellig abgelehnt wurden die Wertgutscheine, die bis auf einen Rest Taschengeld die bare Sozialhilfe ersetzen. Außerdem war häufig von der Angst vor rechter Gewalt die Rede. „Wir wollen nicht auf den Straßen kämpfen“, sagte Nsoh, „aber wo sollen wir uns verstecken?“ Am Donnerstag hatte Bildungsminister Steffen Reiche bei einem Treffen mit Nsoh und zwei weiteren Asylbewerbern zugesagt, er wolle Möglichkeiten der Weiterbildung für Flüchtlinge ausloten und die Aufnahme von Kontakten zwischen Heimen und Schulen fördern. Positiv äußerte sich Sozialminister Alwin Ziel im Gespräch mit dem Tagesspiegel über den Versuch der Flüchtlinge, Organisationsstrukturen zu entwickeln. Der SPD-Politiker verteidigte allerdings die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf Landkreis oder Kreisstadt genauso wie die umstrittenen Wertgutscheine. Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen sei es auch nicht möglich, Asylbewerbern generell Arbeitserlaubnis zu erteilen. Ziel regte jedoch an, Kommunen sollten gemeinnützige Arbeit mit Flüchtlingen organisieren, „das hat auch was mit Integration zu tun“.