Newsletter
Flüchtlingsrat Brandenburg
Juli I  /  2021

Fachinformationen
Flüchtlingspolitische Nachrichten
Arbeitshilfen und Publikationshinweise

 

Liebe Freund*innen, liebe Interessierte!

Zum diesjährigen Weltflüchtlingstag am 20. Juni haben wir in einer Presseerklärung auf die schwierige Situation von Geflüchteten unter den Auswirkungen des massiven Abschiebungsdrucks und den unsicheren Bleibeperspektiven in Brandenburg aufmerksam gemacht. Refugees Emancipation berichtet in einer Pressemitteilung von den Lebensbedingungen in der Gemeinschaftsunterkunft in Kunersdorf in Märkisch-Oderland und fordert Wohnungen für alle. Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg kritisiert anlässlich des Weltflüchtlingstag die Abschiebungspolitik Deutschlands nach Afghanistan sowie die rigorose Haltung Brandenburgs, die von der Einschränkung, nur Straftäter in das Kriegsgebiet abzuschieben, abgerückt sind. Das DWBO fordert einen sofortigen und ausnahmslosen Abschiebestopp.

Auch freuten wir uns über die dpa-Meldung, dass sich Integrationsministerin Ursula Nonnemacher am Wochenende des Weltflüchtlingstags für die Stärkung von Bleiberechtsmöglichkeiten besonders für Kinder und Jugendliche aussprach. Es ist dringend nötig, dass diesem Bekenntnis auch Taten folgen: Brandenburg belegt bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25a AufenthG – also dem Bleiberechtsparagraphen für gut integrierte Jugendliche – mit 163 erteilten Aufenthaltserlaubnissen bis Ende 2020 einen der hintersten Plätze im Bundesvergleich. Nicht zuletzt liegt das an den relativ restriktiven Anwendungshinweisen des Brandenburger Innenministeriums.

Wir fordern daher für die Aufenthaltsgewährung für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende insbesondere die Obergrenze von 21 auf 27 Jahre zu erhöhen, die Altersuntergrenze (14 Jahre) zu streichen und den Ersatz des Kriteriums eines „erfolgreichen“ Schulbesuchs durch den „tatsächlichen“ Schulbesuch.

 

Fachinformationen

VG Berlin: Handydatenauswertung verletzt Grundwerte von Asylsuchenden
Die umstrittene Handydatenauswertung von Flüchtlingen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verletzt Betroffene in ihren Grundrechten. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin im Falle einer 44-jährigen Afghanin entschieden. Bereits in einer im Dezember 2019 veröffentlichten Studie zeigte die Gesellschaft für Freiheitsrechte GFF, dass diese Datenträgerauswertung nicht nur einen in Deutschland beispiellosen Eingriff in die digitale Privatsphäre bedeutet, sondern auch kaum verwertbare Ergebnisse generiert (GFF-Bericht zum Gerichtsurteil und Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“).

Familiennachzug Eritrea:
Auswärtiges Amt passt seine Anforderungen an die Dokumentenbeschaffung an
Der Familiennachzug eritreischer Flüchtlinge zieht sich oft über viele Jahre hin. Ein neues von PRO ASYL kofinanziertes Gutachten zeigt, dass die von deutschen Behörden eingeforderte Beschaffung von Dokumenten aus Eritrea häufig an unzumutbare Bedingungen geknüpft ist. Im Auswärtigen Amt scheint nun endlich etwas Bewegung in die Sache zu kommen (Gutachten in englischer Sprache und PRO ASYL-Meldung).

Wegweisendes EuGH-Urteil zu subsidiärem Schutz: Einzelfall statt Todesstatistik
Bislang orientierte sich Deutschland an Statistiken wie Todeszahlen, um zu entscheiden, ob ein Flüchtling subsidiären Schutz bekommt oder nicht. Das allein reiche nicht, urteilte nun der EuGH (Tagesschaumeldung vom 10.6. und PRO ASYL-Bericht zum Thema).

Lücken bei der Prüfung krankheitsbedingter Abschiebungshindernisse
In der neuen Studie „Abschiebung trotz Krankheit. Perspektiven aus der Praxis und menschenrechtliche Verpflichtungen“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte wird einerseits der grund- und menschenrechtliche Rahmen für die Abschiebung kranker Menschen abgesteckt. Andererseits wird verdeutlicht, welche Schutzlücken in der Praxis drohen – beim Nachweis und der Prüfung von Abschiebungshindernissen, aber auch bei der Vorbereitung und Durchführung von Abschiebungen (Download-Möglichkeit der Studie „Abschiebung trotz Krankheit“).

Neue Studie belegt hohes Gefahrenpotenzial für abgeschobene Afghanen auf
Die Anfang Juni veröffentlichte Studie „Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen Afghanistans“ der Afghanistan-Expertin Frederike Stahlmann basiert auf einer mehrjährigen Forschung und dokumentiert die Erfahrungen von 113 der 908 zwischen Dezember 2016 und März 2020 aus Deutschland abgeschobenen Afghanen. Die lesenswerte Studie macht deutlich: Zurück in ihrem Herkunftsland drohen abgeschobenen Afghanen Gefahr für Leib und Leben, Verfolgung und Verelendung (Tagesschaubericht zur Studie, die Studie als PDF und Interview mit der Autorin).

Mehrsprachige Infos zur Corona-Impfung
Kolleg*innen vom Flüchtlingsrat Niedersachsen haben Anfang Juni in Kooperation mit anderen eine Aufklärungskampagne gestartet, in der über die Corona-Impfung informiert wird. In 14 Videos klären Ärzt*innen in ihren Muttersprachen einfach verständlich über das Impfen gegen Corona auf. Sie sprechen über Impfreaktionen und Nebenwirkungen und widerlegen verbreitete Mythen. Ergänzend wurde in allen Sprachen eine umfangreiche thematische ‚Frage & Antwort‘-Liste erstellt (covid.nds-fluerat.org).

Auch die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben in ihrem Projekt handbookgermany.de zusammen mit drei großen Medienhäusern eine mehrsprachige Website mit vielfältigen Informationen zum Impfen erstellt (www.impfen-gegen-corona.eu).

Eine laufend ergänzte Linksammlung mit Informationen rund um das Covid-19-Virus findet sich auch auf unserer Webseite.

 

Flüchtlingspolitische Nachrichten

Recht auf Wohnung für alle: Bündnis Lager-Watch startet Aufruf
Seit dem 23. Mai, dem Tag des Grundgesetzes, ist das bundesweite Bündnis Lager-Watch mit seinem Aufruf „Schutz für die, die Schutz suchen – Nur in der eigenen Wohnung!“ online. 48 Gruppen und Organisationen – darunter auch der Flüchtlingsrat Brandenburg –  haben den Aufruf erstunterzeichnet. Das Bündnis verurteilt die grundrechteverletzende Realität von Geflüchteten in deutschen Aufnahmelagern und generell die rassistische Politik, Menschen systematisch aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus zu isolieren. Verlangt wird daher nicht nur die Aufwertung der rechtlichen Stellung von Geflüchteten in Aufnahmelagern, die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen und die Etablierung von wirksamen Gewaltschutzkonzepten sowie effektiven Kontrollmechanismen unter anderem durch ein Verbandsklagerecht. Als eigentliches Ziel wird vielmehr gefordert, auch Geflüchteten einen eigenen Wohn- und Lebensbereich zustehen: Alle Menschen haben ein Recht auf Wohnung, gleich welchen Aufenthaltsstatus sie haben!

Bundesinnenministerium: Mehr als 200 Angriffe gegen Flüchtlinge in Brandenburg
Eine Statistik aus dem Innenministerium zeigt: Die Attacken auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte in Brandenburg gehen weiter zurück. Zurückgegangen ist auch die Zahl der Körperverletzungen von Flüchtlingen. Noch immer registrierte die Polizei aber mehr als 200 Straftaten. Die Linke-Landtagsabgeordneten Andrea Johlige sieht unter anderem die Kontaktbeschränkungen und der Verlagerung der gesellschaftlichen Konfliktfelder während der Pandemie als Grund für die gesunkenen Zahlen. Auch stehen die genauen Zahlen über die verschiedenen Straftaten für das vergangene Jahr noch aus, da die Nachmeldungen für das vierte Quartal noch nicht vorliegen. Sie warnt deshalb davor, bereits generelle Entwarnung zu geben.

Zwangsoutings queerer Geflüchteter:
Innenministerium und Auswärtiges Amt räumen Fehler ein

In
Antwort auf ein Schreiben des Lesben- und Schwulenverbands LSVD bestätigte das Bundesministerium des Innern, für Bauen und Heimat (BMI) sowie das Auswärtige Amt (AA), dass Vertrauensanwält*innen des AA lesbische, schwule und bisexuelle Asylantragsteller*innen in ihren Herkunftsstaaten geoutet haben – in Staaten, in denen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt streng tabuisiert ist und für homosexuelle Handlungen lange Inhaftierungen oder gar die Todesstrafe drohen. BMI und AA räumen ein, dass hierbei „bedauerlicherweise Fehler“ unterlaufen sind und sichern konkrete Maßnahmen zur Verhinderung weiterer solcher Vorkommnisse zu.

Datenschutz gilt nicht für Geflüchtete:
Neues Gesetz zum Ausländerzentralregister auf dem Weg
Am 25. Juni hat – allen zivilgesellschaftlichen Warnungen vor Datenmissbrauch zum Trotz – auch der Bundesrat dem bereits vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters zugestimmt. Das Gesetz, durch das erheblich ausgeweitete Datenbestände von Nichtdeutschen – insbesondere etwa auch die Asylbescheide und Asylurteile von Geflüchteten – zentral gespeichert und von Tausenden von Behörden abgerufen werden können, stellt einen massiven Einschnitt in das Recht der Betroffenen auf Privatleben, auf Datenschutz und in die informationelle Selbstbestimmung dar.

Warum Covid-19 Minderheiten härter trifft
Erkranken Menschen mit Migrationshintergrund besonders häufig an Covid-19? Neuere Forschungsergebnisse lassen das vermuten, wie eine vom MEDIENDIENST INTEGRATION in Auftrag gegebene Expertise verdeutlicht. Die 10-seitige Publikation macht aber auch deutlich, dass die Gründe dafür nicht in vermeintlichen kulturellen Eigenheiten liegen, wie oftmals gemutmaßt wird. Vielmehr sind Menschen mit Migrationshintergrund besonderen Risikofaktoren ausgesetzt. Die drei zentralen Risikokomplexe sind dabei die Art der beruflichen Tätigkeit und das Beschäftigungsverhältnis, die Lebensbedingungen sowie der allgemeine Gesundheitszustand.

Qualifiziert, gebraucht, geschätzt – und trotzdem zum Gehen gezwungen
Die Autorin Nina von Hardenberg beschreibt in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung am Beispiel eines jungen Afghanen sehr greifbar, wie unzureichend und ungerecht die gesetzlichen Regelungen, die es geduldeten Geflüchteten ermöglichen soll, über Ausbildung und Arbeit ein Bleiberecht zu erhalten, gestaltet sind. Die Hürden, eine aufenthaltssichernde Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung zu erhalten, sind so absurd hoch, dass sie von vielen Geflüchteten trotz aller Anstrengungen nicht überwunden werden können. Laut Süddeutscher Zeitung haben bis März dieses Jahres lediglich gut 5.700 Menschen eine Ausbildungsduldung und nur 2.365 Geflüchtete eine Beschäftigungsduldung erhalten.

Ausblick: Frauen* unterwegs gegen das Lagersystem und Rassismus
Vom 21. Juli bis zum 4. August ist Women in Exile & Friends wieder auf Bus-Sommertour – um gegen das Lagersystem und Rassismus ein Zeichen zu setzen und auch zur empowernden Vernetzung mit geflüchteten Frauen in Lagern. Ihre Tour führt sie von Brandenburg nach Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern und endet Anfang August in Berlin.

 

Arbeitshilfen und Publikationen

KommMit-Newsletter | Erste Ausgabe Juni 2021. Auch unsere Kolleg*innen von KommMit e.V. geben nun einen regelmäßigen Newsletter heraus. Er informiert über aktuelle Projekte, Veranstaltungen und neue Entwicklungen bei KommMit und kann auf deren Webseite abonniert werden.

Die Arbeitsmarktwirkungen der COVID-19-Pandemie auf Geflüchtete und andere Migrantinnen und Migranten. IAB-Forschungsbericht 5|2021. Der Bericht macht deutlich: Geflüchtete und in geringerem Umfang andere Migrant*innen waren während des ersten pandemiebedingten Lockdowns überdurchschnittlich von Beschäftigungsabbau und Kurzarbeit betroffen. Geflüchtete konnten außerdem die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten nur in sehr geringem Umfang im Homeoffice durchführen.

Gegen uns. Baseballschlägerjahre in der Uckermark: Rechte Gewalt und Gegenwehr. Eine eindrückliche neue Webdokumentation mit Betroffenen im Gespräch über rechte Gewalt nach 1990 und die Verteidigung der solidarischen Gesellschaft.

Grundrechte-Report 2021. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Ende Mai ist in Berlin der neue Grundrechte-Report vorgestellt worden. In seinen 43 Beiträgen zeigt der alternative Verfassungsschutzbericht erneut auf, wie Gesetzgeber, Verwaltung und Behörden, aber auch Gerichte und Privatunternehmen die demokratischen und freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft gefährden. Der diesjährige Report zieht eine erste kritische Bilanz der Corona-Krise und benennt auch klare Grundrechtsverletzungen im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechtes.

Rechte Angriffe im Netz. Auswirkungen und Handlungsempfehlungen. Die Broschüre richtet sich an betroffene Politiker*innen und aktive Mitglieder der Zivilgesellschaft. Sie zeigt auf, wie man sich vor rechter, rassistischer und antisemitischer Bedrohung im Netz schützen kann, wie Betroffene mit solchen Vorfällen umgehen können und welche juristischen Optionen es gibt. Ergänzt werden diese Informationen durch Fallbeispiele aus der Praxis der Fachberatungsstellen. Herausgegeben wurde die Publikation von den Fachberatungsstellen Opferperspektive aus Brandenburg, SUPPORT aus Sachsen und ZEBRA aus Schleswig-Holstein.

 

 

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