Flüchtlingspolitische Forderungen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie

Geflüchtete sind aufgrund der Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften besonders von einer Infektion mit dem Coronavirus bedroht. Soziale Kontakte sind fast unvermeidbar für all jene Personen, die sich Gemeinschaftsküchen teilen, aus derselben Kantine versorgt werden und die Sanitäranlagen gemeinsam nutzen. Notwendige Quarantäne-Maßnahmen stellen für Zwangsuntergebrachte in einer Massenunterkunft eine unvergleichliche Belastung dar.

„Die aktuelle Entwicklung der Pandemie macht auf neue Weise deutlich: Die Unterbringung in Lagern, die Ungleichbehandlung in der Gesundheitsversorgung von Menschen im Asylbewerberleistungsbezug, ein eingeschränkter Zugang zu Informationen und die Verwehrung von Überweisungen der Sozialleistungen auf das eigene Konto sind menschlich unwürdig und gesellschaftlich desaströs“, so Mara Hasenjürgen vom Flüchtlingsrat Brandenburg.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation appelliert der Flüchtlingsrat Brandenburg daher an die Landesregierung, hinter folgenden flüchtlingspolitischen Maßnahmen nicht zurückzubleiben:


Unterbringung

Risikogruppen (Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Menschen) müssen sofort separat untergebracht werden. Grundsätzlich sind möglichst viele Menschen dezentral unterzubringen. Hierzu sind sämtliche freien Kapazitäten einzubeziehen, ggf. muss über die Anmietung von Hotels oder Pensionen nachgedacht werden, um die Belegungsdichte zu reduzieren.
Sowohl in der Erstaufnahme als auch in den Kommunen sollten für die Gemeinschaftsunterkünfte extra Reinigungs- und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt werden.
Die Versorgung mit funktionierenden WLAN-Netzwerken in allen Bereichen der Unterkunft ist zu Pandemie-Zeiten wichtiger denn je zuvor, um Kontakt zu Familienangehörigen und Zugang zu Informationen, aber auch Lernangeboten und Unterhaltung zu ermöglichen. Unterkünfte ohne Internetverbindung müssen umgehend aufgerüstet werden.


Gesundheitsversorgung

Die Gesundheitsversorgung und die freie Arztwahl müssen für alle Geflüchteten gesichert sein. Eine ärztliche Behandlung darf nicht vom Vorliegen eines Krankenscheins nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) abhängig gemacht werden. Der Flüchtlingsrat fordert einen gleichberechtigten Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für alle Menschen.


Auszahlung von Sozialleistungen sicherstellen und Kürzungen aufheben

Die Auszahlung vollumfänglicher Leistungen muss gewährleistet werden, notfalls vor Ort in den Unterkünften. Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen aufgehoben werden, da weder Rechtsberatung noch Sozialämter für eine Klärung erreichbar sind, etwaige Mitwirkungspflichten unverschuldet aufgrund der Pandemie nicht erfüllt werden können und Betroffene einen höheren Bedarf abdecken müssen (Hygieneartikel, Vorratshaltung). Menschen, die deutlich unter dem Existenzminimum leben, können „Social Distancing“ kaum praktizieren.


Umfassende Information

In Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden müssen schnell Informationsmaterialien übersetzt und in allen Unterkünften in den notwendigen Sprachen zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollten Telefon-Hotlines mit Übersetzer*innen geschaltet werden für alle Geflüchteten in Brandenburg, um drängende Fragen direkt beantworten zu können.
Aktuelle Informationen sammelt der Flüchtlingsrat auf seiner Webseite.


Fristen aussetzen

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollte vorerst keine Bescheide zustellen bzw. die Rechtsmittelfristen aussetzen, da momentan kein Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung gewährleistet ist. Ein Großteil der Beratungsstellen und Kanzleien sind nur noch eingeschränkt erreichbar.
Auch Ausländerbehörden setzen Fristen zur Beschaffung von Dokumenten und Ausweisen über Familienangehörige, Botschaften und Konsulate. Alle diese Fristen müssen sofort ausgesetzt werden, um zu verhindern, dass Geflüchtete trotz massiver Infektionsrisiken zu Behörden, Gerichten, Botschaften und Konsulaten fahren.


Ausweispapiere unbürokratisch verlängern

Aufenthaltsgestattungen, Aufenthaltserlaubnisse und Duldungen müssen vorübergehend, wie vom Innenministerium angeregt, unbürokratisch verlängert und, sofern nicht anders möglich, mit der Post zugestellt werden. Es sollte geprüft werden, ob bestimmte Verfahren vorübergehend auch auf elektronischem Wege möglich sind, z.B. Anträge auf Niederlassungs- und Aufenthaltserlaubnisse und Beschäftigungserlaubnisse (viele Geflüchtete arbeiten in systemrelevanten Branchen).


Abschiebungen

Derzeit werden schon einige Abschiebungen wegen der Corona-Pandemie storniert, jedoch wurde bislang kein allgemeiner Abschiebestopp erlassen. Aufgrund der völlig unklaren Lage in weiten Teilen der Welt sollten sämtliche Abschiebungen und Überstellungen bis auf weiteres ausgesetzt werden. Als Konsequenz daraus müssen alle Abschiebehäftlinge entlassen werden. Eine Umverteilung aus der Erstaufnahme in die Landkreise von Menschen, deren Abschiebung nun bis auf Weiteres ausgesetzt ist, ist umgehend geboten.

 

PM_Solidarität muss allen gelten Gleiche Rechte für alle_18.03.2020