8.5.2020

In einer Pressemitteilung vom 6.5.2020 erklärt der Landkreis Potsdam-Mittelmark, dass sie erstmals einen Geflüchteten im Ausreisegewahrsam am Flughafen Schönefeld unter Zwangsquarantäne gestellt haben, das nun als Absonderungseinrichtung zur Unterbringung von so genannten Quarantäne-Verweigerern nach dem Infektionsschutzgesetz dient. Der Presse ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Betroffenen um einen 31-jährigen Geflüchteten aus der Gemeinschaftsunterkunft in Teltow handelt, der vom 5. bis 13. Mai in der Absonderungshaft verbleiben muss. Während Kranke sowie Krankheitsverdächtige ausnahmslos in einem abgeschlossenen Krankenhaus in Zwangsquarantäne genommen werden dürfen, können Ausscheider und Ansteckungsverdächtige „auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden“ (vgl. § 30 Abs. 2 S. 2 IfSG).

Lotta Schwedler vom Flüchtlingsrat Brandenburg äußert sich zu der Maßnahme:

„Geflüchtete Menschen sind in Gemeinschaftsunterkünften, in denen sie sich Zimmer, Küche und Bad mit anderen teilen müssen, einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Eine Zwangsquarantäne von ganzen Stockwerken oder gesamten Unterkünften, wie beispielsweise in Henningsdorf geschehen, wird hier billigend in Kauf genommen – inklusive der negativen sozialen und emotionalen Folgen, die das für die Menschen hat. Als Flüchtlingsrat beobachten wir eine sehr große Verunsicherung bei allen Geflüchteten, deren Unterkunft unter Quarantäne gestellt wird. Eine Informationsvermittlung, die Unsicherheit und Angst nehmen könnte, findet viel zu wenig statt. Häufig liegen zunächst keine schriftlichen Bescheide vom Gesundheitsamt vor, es mangelt an mehrsprachiger Übersetzung der Quarantäne-Informationen, für ihre Sorgen finden Geflüchtete keine Ansprechpartner_innen, eine Kommunikation auf Augenhöhe gibt es selten.

Nach Berichten von Geflüchteten aus der Unterkunft in Teltow fühlten auch sie sich unzureichend informiert. Eine Missachtung der Quarantäneanordnung hängt häufig auch mit dieser verfehlten Informations- und Aufklärungspolitik zusammen. Eine Zwangsunterbringung in der Ausreisesammelstelle in Schönefeld erscheint deswegen unverhältnismäßig. Ob das Ausreisegewahrsam der richtige Ort für eine potentiell infizierte Person sein kann, ist stark zu bezweifeln. Hier muss ein Mindestmaß an medizinischen Materialien und geschultem Personal vorhanden sein, da noch zeitlich verzögert Symptome einer Corona-Infektion auftreten können. Außerdem fehlen Vollzugsregelungen für die so genannte Absonderungshaft. Das ermöglicht, den Betroffenen weitere Freiheitsbeschränkungen aufzuerlegen, was der Willkür Tür und Tor öffnet. So könnten beispielsweise ein Zugang zu Rechtsberatung, der Empfang von Besuch oder die Kommunikation nach außen willkürlich unterbunden werden.

Darüber hinaus ist das Problem in weiten Teilen hausgemacht: Würden die Landkreise Geflüchtete dezentral in kleineren Wohneinheiten unterbringen, müssten sie auch nicht ganze Großunterkünfte unter Quarantäne stellen.“

Martin Kühn, ehrenamtlicher Unterstützer von Geflüchteten aus der Unterkunft in Teltow, berichtet von der Lage vor Ort:

„Es ist befremdlich, in welcher Form und Wortwahl der Landrat in Bezug auf einen Einzelfall an die Presse geht. Gleichzeitig wird der Landkreis seiner Verpflichtung der Aufklärung gegenüber den Geflüchteten nicht gerecht. Geflüchtete, die in dem Heim in Teltow leben, haben die Information über die Quarantäne in ihrer Unterkunft nicht, wie zu erwarten, vom Landkreis, sondern aus der Presse oder dem Internet.

Der einzige effektive Schutz vor Ansteckung wäre die Unterbringung in Wohnungen oder Einzelzimmern. Dennoch verweigert die Ausländerbehörde in Werder den Auszug eines jungen Geflüchteten aus der Unterkunft in Teltow in eine private Unterkunft, in der er die für alle geltenden Abstandsregeln einhalten könnte.“

Martin Kühn weiter:

„Es gibt scheinbar keine Kommunikation zwischen dem Landkreis und den betroffenen Kommunen – selbst der Bürgermeister von Teltow war nicht informiert. Der eigene Skiurlaub des Landrates zu Beginn der Coronakrise mit anschließender Quarantäne wirft die Frage auf, wie hier die Prioritäten im Rahmen des Krisenmanagements gesetzt werden.“

Zum Hintergrund und zur Situation in anderen Bundesländern:

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-hamburg-quarantaene-verweigerer-koennten-in-ausreisegewahrsam-kommen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200417-99-741990

https://taz.de/Corona-und-Gefluechtete/!5681898/

Pressekontakt: Lotta Schwedler, Tel.: 0331 / 71 64 99