Am gestrigen Montag hat die Bundesregierung bekannt gegeben, dass das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan startet. Wir kritisieren den Ausschluss von Schutzsuchenden, die sich bereits in Drittstaaten aufhalten, sowie die ausschließliche Antragstellung über Nichtregierungsorganisationen.

Das Aufnahmeprogramm bezieht sich ausschließlich auf „afghanische Staatsangehörige aus Afghanistan“. Schutzsuchende, die in die Nachbarländer Afghanistans geflohen sind und sich in Drittstaaten wie Iran, Pakistan oder Tadschikistan aufhalten, werden ausgeschlossen. Diese Logik zwingt Menschen, die auf eine Evakuierung nach Deutschland hoffen, in Afghanistan zu bleiben, selbst wenn ihr Leben dort akut gefährdet ist.

Um ihre Gefährdung überzeugend darlegen zu können, müssen in einem Online-Tool über 100 Ja-Nein-Fragen beantwortet werden. Erst nach einer computergestützten Priorisierung lesen Menschen die vom Algorithmus gefilterten Einzelfälle und Kurzbegründungen. Dieses stark vereinfachte Verfahren in der Logik eines Ja—Nein-Frage-Systems schließt jedoch gerade besondere Fälle, die nicht Teil der Befragungen, aber genauso gefährdet sind, aus. Es kann nicht sein, dass ein Algorithmus künftig de facto darüber entscheidet, wer von dem Bundesprogramm profitieren wird und wer nicht.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass sich Schutzsuchende nicht selbst direkt für das Programm bewerben können. Das sollen bestimmte in Deutschland registrierte und vom Bundesinnenministerium akzeptierte Nichtregierungsorganisationen für sie tun („meldeberechtigte Stellen“). Damit übernehmen NGOs eine staatliche Aufgabe und müssen letztlich entscheiden, welche Fälle aufbereitet und eingereicht werden. Eine staatlich finanzierte Koordinierungsstelle soll dann die vermittelten Anträge einpflegen. Dies verlangsamt die bereits jetzt sehr langen Bearbeitungszeiten.

Trotz seiner zahlreichen Mängel muss das Aufnahmeprogramm jetzt starten:

Weitere Verzögerungen bei der Umsetzung des Aufnahmeprogramms sowie leere Versprechen gefährden Menschenleben. Deshalb muss jetzt jede Möglichkeit genutzt werden, bedrohte Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Dies liegt in der Verantwortung Deutschlands und Europas. Denn nicht zuletzt aufgrund des NATO-Einsatzes und der verantwortungslosen Doha Agreements befinden sich nun viele Menschen in Afghanistan in Lebensgefahr.

Wir verweisen in dem Zusammenhang auf die Presseerklärungen von PRO ASYL und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen vom 17.10.2022.