Unser Statement anlässlich des heutigen Weltflüchtlingstags
(Es wurde vergangene Woche in leicht variierter Form bereits an der Demonstration zur Innenministerkonferenz in Bremen im Namen der Flüchtlingsräte von einem Kollegen aus unserem Team verlesen.)
Wir sind schockiert. Schockiert darüber, wie leichtfertig gerade mit dem umgegangen wird, was für uns unverrückbare Grundwerte sind: Rechtsstaatlichkeit. Menschenwürde. Demokratie. Das sind keine schönen Worte für Festreden. Das sind Werte, die zu leben, schützen und zu verteidigen sind.
Doch wir sehen, wie diese Werte zu leeren Hüllen verkommen. Sie stehen noch in den Gesetzen, sie werden in Reden beschworen – aber in der Realität werden sie ausgehöhlt, missachtet, verraten. Sie sind zur Fassade geworden – und hinter dieser Fassade wird abgeschoben, ausgegrenzt, entrechtet.
Wie können wir von Rechtsstaatlichkeit sprechen, wenn Zurückweisungen an den Grenzen politischer Alltag geworden sind? Kalt, routiniert, rechtswidrig. Menschen werden ohne Anhörung abgewiesen. Wer so handelt, bricht das Recht – Punkt. Das ist institutionalisierte Willkür. Der Staat soll schützen, nicht abdrängen. Und er soll sich selbst an das halten, was er von allen anderen verlangt: das Recht.
Wie können wir von Rechtsstaatlichkeit sprechen, wenn das Recht auf Familie einfach abgeschafft wird? Man reißt Familien auseinander. Mit Ansage. Mit Absicht. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wurde gerade abgeschafft. Das ist keine Randnotiz. Das ist eine politische Entscheidung gegen Zusammenhalt, gegen Teilhabe, gegen Menschlichkeit. Familien werden getrennt, obwohl das Recht auf Familie ein Menschenrecht ist. Das hat nichts mit Verantwortung zu tun – das ist bewusste Ausgrenzung.
Wie können wir von Menschenwürde sprechen, wenn Geflüchtete nicht einmal mehr über ihr eigenes Geld verfügen dürfen? Die Bezahlkarte ist kein Verwaltungsinstrument – sie ist ein Mittel der Demütigung. Man nimmt den Menschen ihr Geld, ihre Würde, ihre Selbstbestimmung. Das ist keine Integration – das ist Ausgrenzung per Chipkarte.
Wie können wir von Demokratie sprechen, wenn man 511 Fragen stellt, nicht um aufzuklären, sondern um zu verdächtigen? Diese Anfrage ist kein demokratischer Beitrag – sie ist ein Angriff auf die Demokratie. Sie will nicht schützen, sondern zensieren. Wer kritische Stimmen kontrollieren will, schwächt die Meinungsfreiheit – und damit das demokratische Fundament.
Wie können wir von Demokratie sprechen, wenn Menschen, die helfen, kriminalisiert werden? NGOs, die Missstände benennen, die Menschen retten werden bedroht, werden diffamiert – oder wie gerade wieder geschehen: angezeigt. Humanität ist kein Verbrechen. Zivilcourage gehört geschützt – nicht verfolgt. Das sollten Sie doch eigentlich wissen, Herr Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft!
Und all das vergiftet unsere Gesellschaft. Der rassistische Migrationsdiskurs ist in der Mitte angekommen. Was früher rechte Parolen waren, ist heute regierungsnahe Rhetorik. Wer hilft, wird verdächtigt. Wer sich einmischt, wird bedroht. Wer Schutz sucht, wird bekämpft.
Wie können wir von Demokratie sprechen, wenn selbst die sogenannten Brandmauern längst durchlässig geworden sind? Denn die, die sie angeblich hochhalten, zeigen selbst, wie man sie umgeht. Sie öffnen Türen – zu einem Denken, zu einem Handeln, das wir nie wieder zulassen wollten.
Darum stehen wir heute hier. Weil wir nicht akzeptieren, dass Menschenwürde verhandelbar ist. Weil wir nicht schweigen, wenn Grundrechte ausgehöhlt werden. Weil Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Demokratie für uns keine Floskeln sind – sondern Verpflichtung.
Wir mahnen die Politik: Vergesst nicht, was die Geschichte uns gelehrt hat. Wer heute Schutzsuchende entrechtet, Familien trennt, die Zivilgesellschaft angreift – der öffnet Türen, die längst hätten verschlossen bleiben müssen.
Denn:
Die Verachtung menschlichen Lebens.
Die Schuldzuweisung an die Schwächsten.
Die Suche nach Sündenböcken.
All das ist wieder gesellschaftsfähig geworden.
Wir nehmen das nicht hin – wir stehen auf.
Wir stehen für eine Gesellschaft, die sich nicht vom Hass treiben lässt, sondern vom Mut zur Menschlichkeit.
Und wir werden weitermachen.
Wir werden uns einmischen.
Wir werden widersprechen.
Wir werden schützen, wo andere entrechten.
Und wir werden laut bleiben – solange es notwendig ist.
Unsere Haltung ist klar – und unsere Forderungen auch:
Für Rechtsstaatlichkeit fordern wir:
Beendet die Zurückweisungen an den Grenzen. Verteidigt das Asylrecht – für alle, ohne Ausnahme.
Für Menschenwürde fordern wir:
Ermöglicht den Familiennachzug. Schafft die sogenannte Bezahlkarte ab. Schutz heißt auch: selbstbestimmt leben können – in Würde.
Für Demokratie fordern wir:
Schützt die Zivilgesellschaft. Wer sich engagiert, wer hilft, wer auf Missstände hinweist – darf nicht überwacht, verdächtigt oder zum Schweigen gebracht werden.
Das ist unser Maßstab. Das ist unser Auftrag.
Für Rechtsstaatlichkeit. Für Menschenwürde. Für Demokratie.