Potsdam, Pressemitteilung vom 19. September 2017
•Flüchtlingsaufnahme statt Abschiebelager – Flüchtlingsrat fordert Abschaffung der Isolation von Asylsuchenden
•Brandenburgs Innenminister treibt Politik der Ausgrenzung voran
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Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter möchte zukünftig Schutzsuchende bis zu zwei Jahre in der Erstaufnahmeeinrichtung festhalten, wo sie grundsätzlich erschwerten Zugang zu Beratungs- und Unterstützungsstrukturen im Land haben. Brandenburg wäre damit eines der ersten Bundesländer, das die restriktive Bundespolitik umsetzt. Ziel ist offensichtlich die möglichst reibungslose Abschiebung von Flüchtlingen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Rückendeckung erhält Schröter für seine diskriminierende Isolationspolitik durch Landräte und Oberbürgermeister, wie nach einer Beratung mit diesen in Potsdam am Montag bekannt wurde.
Möglich wird der Vorstoß des Innenministers durch das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, das im Juli 2017 in Kraft getreten ist. Allerdings räumt das Gesetz den Ländern ein, von der Regelung zur Verlängerung des Aufenthaltes in der Erstaufnahme keinen Gebrauch zu machen. Das Innenminister Schröter sich zum wiederholten Male damit profiliert, restriktive Bundespolitik möglichst schnell umzusetzen, verwundert leider nicht.(1) Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Bundestagswahl schielt Schröter offenbar nach rechts und lässt Schutzbedarfe außer Acht.
Die Folgen, Menschen mit angeblich „schlechter Bleibeperspektive“ bis zu 24 Monaten in der Erstaufnahme unterzubringen, die so als Abschiebelager missbraucht wird, können für die Betroffenen verheerend sein: 
Der so erschwerte Kontakt zu Unterstützer_innen, Beratungsstellen und Rechtsanwält_innen führt dazu, dass Geflüchtete sowohl im Verfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung oder gar Zugang zu Rechtsschutz bleiben. Es ist davon auszugehen, dass so in hohem Maße zahlreiche Schutzsuchende nicht das Recht auf den Schutz bekommen, der ihnen individuell zusteht. Selbst Minderjährige werden von der Lagerpflicht nicht ausgenommen. Das Kindeswohl ist dann so massiv gefährdet, dass eine Vereinbarkeit mit der UN-Kinderrechtskonvention äußerst fraglich ist. Menschen durch ein Festhalten in der Erstaufnahmeeinrichtung bis
zu zwei Jahren den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verwehren, verhindert die Integration und widerspricht den Vorgaben der europäische Rechtsnorm für die Aufnahme Asylsuchender.

Schon jetzt sind Rechtsverletzungen in der Erstaufnahme an der Tagesordnung. Maßgebliche EU-Richtlinien, die insbesondere Kinder, Alleinerziehende, Frauen und Kranke schützen und die Qualität der Asylverfahren und die Versorgung gewährleisten sollen, werden in den brandenburgischen Erstaufnahmeeinrichtungen nicht umgesetzt. Den Flüchtlingsrat erreichen regelmäßig massive Beschwerden u.a. über die unzureichende Beratung zum Asylverfahren, Mängel bei der medizinischen Versorgung und Erkennung besonderer Schutzbedarfe.
Würden die Pläne des Innenministers umgesetzt, würde dies zur dauerhaften Realität für sehr viele Flüchtlinge in Brandenburg. Der Flüchtlingsrat fordert deshalb das zuständige Ministerium dazu auf, von diesen Plänen abzusehen. Eine dauerhafte Isolation von Geflüchteten in der Erstaufnahme darf nicht weiter vorangetrieben werden. Weder die Landesregierung noch die Zivilgesellschaft sollten sich damit abfinden, dass ein Parallelsystem für Schutzsuchende geschaffen wird, das ihre systematische Entrechtung und Ausgrenzung vorantreibt. Der Zugang zu Rechtsschutz, Unterstützungsstrukturen und Integrationsleistungen muss für Schutzsuchende in Brandenburg offen sein.
Der Flüchtlingsrat kritisiert außerdem den rechtlich fragwürdigen Begriff der „schlechten Bleibeperspektive“ aufs Schärfste, den der Innenminister für eine Entscheidung über die Dauer des Aufenthaltes in der Erstaufnahme offenbar zu Grunde legen will. Der Kern des Asylsystems sieht eine individuelle Prüfung von Fluchtgründen vor, und keine pauschale und oft willkürliche Vorab-Einschätzung und Selektion anhand des Herkunftslandes. Das breit kritisierte Label der „geringen“ oder „schlechten“ Bleibeperspektive dient als zentrales Instrument, schutzsuchenden Menschen Teilhabe zu versagen und sie an ihrem individuellen Recht auf Aufnahme und Schutz vorbei schnell wieder außer Landes zu schaffen. Durch die monate- und jahrelange Abschottung in den Erstaufnahmeeinrichtungen soll dies umgesetzt werden. Brandenburg darf sich an dieser flüchtlingsfeindlichen Politik nicht beteiligen.
(1) Der Flüchtlingsrat berichtete:
https://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/pm-mit-der-abschiebequote-gegen-denrchtsstaat-fluechtlingsrat-fordert-ruecktritt-von-law-and-order-minister-schroeter
https://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/pm-von-der-willkommens-zur-abschiebekultur
Pressekontakt: Lotta Schwedler 0176 214 250 57