Pressemitteilung, 15.08.2018
Drei Afghanen aus Forst, Cottbus und dem Landkreis Oberhavel sind gestern Abend mit dem Sammelcharta von München mit 43 weiteren Afghanen nach Kabul abgeschoben worden. Die Anwältin Myrsini Laaser ist entsetzt: Mindestens in zwei Fällen hätte der schlechte Gesundheitszustand eine Abschiebung nicht zugelassen. Bei einem der Fälle gab es darüber hinaus noch keine endgültige Entscheidung durch das Gericht bezüglich des Asylverfahrens. Brandenburgs Abschiebepolitik hat damit eine neue, erschreckende Qualität angenommen.
 
Einer der drei abgeschobenen Afghanen ist Karimullah S. Der Gesundheitszustand des 21-Jährigen war bereits in den vergangenen Monaten extrem labil, er litt täglich unter panischer Angst, so die Sozialarbeiterin der Gemeinschaftsunterkunft in Forst, Barbara Domke. Der aus der Provinz Kandahar stammende Afghane hatte in Deutschland versucht, sich das Leben zu nehmen und war danach in stationärer Behandlung. „Der Suizidversuch hing mit der traumatisierenden Flucht und der Abschiebehaft in Passau zusammen. Glücklicherweise konnten wir ihn im Winter 2016 zu seinen Brüdern nach Forst bringen. Die Abschiebehaft in Passau hätte er nicht lebend überstanden“, so Domke.
Karimullah S. besuchte einen Sprachkurs und arbeitete in der Unterkunft in Forst. Die Sozialarbeiterin Barbara Domke steht mit ihm seit seiner gestrigen Abschiebung weiterhin in Kontakt. „Er hat Todesangst in Kabul. Dort hat er keinerlei Netzwerke, Freunde oder Familie“, erklärt Domke dem Flüchtlingsrat. „Das skandalöse an der Abschiebung von Karimullah ist, dass eine rechtliche Grundlage für diese Abschiebung gefehlt hat. Hier ist ein schutzbedürftiger junger Mann abgeschoben worden.
Ähnlich sieht es seine Anwältin Myrsini Laaser. Sie betont darüber hinaus, dass während des Asylverfahrens und der anschließenden Klage von Seiten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Gerichtes eklatante Fehler begangen worden sind. Obwohl ihr Mandant immer wieder auf die Fehler hingewiesen hätte, wurden diese durch das BAMF und vom Gericht nicht berücksichtigt. Die Fehleinschätzungen mündeten nun in der Abschiebung von Karimullah S. „Ein rechtsstaatlich faires Verfahren hätte erfordert, dass eine endgültige Entscheidung durch das Gericht abgewartet worden wäre. Das Verfahren nun aus Afghanistan zu betreiben, ist unzumutbar. Wir werden dennoch keine Chance ungenutzt lassen„, so die Rechtsanwältin.
Barbara Domke weist außerdem auf die Signalwirkung hin, die Brandenburgs unmenschliche Abschiebepolitik für im Bundesland lebende Afghan_innen hat: „Das Signal dieser Abschiebung wird dramatische Folgen für die Afghanen haben, die sich hier in Brandenburg ein Leben aufgebaut haben. Es versetzt alle in Angst und Schrecken. Die neuen Entwicklungen paralysieren die Menschen.“ Betroffen davon sind etwa 374 ausreisepflichtige Afghan_innen, die in Brandenburg leben (Stichtag 31.12.2017).
Der Afghanistan Experte Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network schätzt gegenüber dem Flüchtlingsrat die Folgen für die abgeschobenen Afghanen und ihre Lebenssituation in Afghanistan als verheerend ein:
Abgesehen davon, dass angesichts der Gesamtsicherheitslage in Afghanistan keine auch nur über einen hinreichenden Zeitraum sichere Gebiete auszumachen sind, gehen die abschiebenden deutschen Behörden ein hohes Risiko ein, traumatisierte oder gar selbstmordgefährdete Menschen ohne soziale Kontakte nach Kabul abzuschieben, wo sie nur rudimentäre Unterstützung erhalten. Sie schieben die Verantwortung den afghanischen Behörden zu, die angesichts hunderttausender Rückkehrer aus Nachbarländern und einer erheblich verschlechterten sozialökonomischen Situation nicht in der Lage sind, sich nachhaltig um sie zu kümmern, oder sie gar adäquat medizinisch zu versorgen oder zu reintegrieren.
Die Abschiebung der drei Männer, zwei von ihnen selbstmordgefährdet, steht im Widerspruch zu den eigene Aussagen des Brandenburger Innenministeriums, es werden „vorrangig Gefährder, rechtskräftig verurteilte Straftäter und solche Asylbewerber, die sich der Mitwirkung an der Identitätsfeststellung hartnäckig verweigern abgeschoben. Offensichtlich stehen stattdessen überwiegend Kranke und Schutzbedürftige auf der Abschiebeliste der Landesregierung. Ähnliche Fälle, bei denen krankheitsbedingte Abschiebehindernisse bei der gestrigen Abschiebung nicht berücksichtigt wurden, sind nun auch aus Bayern bekannt geworden (vgl. Pressemitteilung des bayrischen Flüchtlingsrats vom 15.08.2018). Hier scheint sich ein bundesweites Muster abzuzeichnen, das die moralfreie Flüchtlingspolitik Seehofers weiter vorantreibt.
Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung und eine Wiedereinreise der Betroffenen bei entsprechender Feststellung. Die vom Innenministerium angeordnete Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Afghanistan auch ohne Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte ist angesichts des Beschlusses der Landesregierung zur Einzelfallprüfung der abzuschiebenden Afghan_innen empörend. Wir fordern Aufklärung und fragen: Wer bestimmt in Brandenburg eigentlich die Politik: das Innenministerium in Gefolgschaft des BMI oder das Parlament? Mit den gestrigen Abschiebungen in das Kriegsgebiet Afghanistan hat Brandenburg eine rote Linie überschritten!