Pressemitteilung, 20.09.2019

Die Landesflüchtlingsräte, der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Jugendliche ohne Grenzen fordern anlässlich des Weltkindertags: Uneingeschränkte Berücksichtigung des Kindeswohls statt Abschiebungen um jeden Preis.

Der diesjährige Weltkindertag am 20. September steht unter dem Motto „Wir Kinder haben Rechte!“ Vor genau 30 Jahren wurde die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen beschlossen. An diesem Tag rücken die Bedürfnisse von Kindern und vor allem ihre speziellen Rechte in den Fokus der Öffentlichkeit. Doch deutschlandweit werden bei Abschiebungen regelmäßig die Rechte von geflüchteten Kindern verletzt. 

Missachtung des Kindeswohls bei Abschiebungen

Immer wieder berichten Geflüchtete von brutalen, häufig nachts stattfindenden Abschiebungen von Familien mit Kindern, von Familientrennungen und von der Missachtung von Abschiebungshindernissen, die bei betroffenen Kindern vorliegen. Die Flüchtlingsräte, der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Jugendlichen ohne Grenzen fordern die beteiligten Behörden dazu auf, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebene vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls umfassend und uneingeschränkt zu achten:

„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichwohl ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ (Artikel 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention)

Das Wohl des Kindes findet jedoch im Kontext von Abschiebungen regelmäßig keine Beachtung. Kinder, die von Abschiebungen betroffen sind, gehen hier zur Schule und in den Kindergarten, sind zum Teil in Deutschland geboren. Dem besonderen Bedarf geflüchteter Kinder nach einem sicheren und stabilen Zuhause und der Verwurzelung der Kinder in Deutschland wird bei Behördenentscheidungen in der Regel kein Gewicht beigemessen. Bei der Abschiebung selbst werden Kinder oft mitten in der Nacht von der Polizei aus dem Schlaf und aus ihrem Leben in Deutschland gerissen. Sie sind der Situation völlig hilflos ausgeliefert, können zum Teil nicht einmal ihre Sachen packen – geschweige denn sich von Freund*innen, Lehrer*innen und Erzieher*innen verabschieden. Des Weiteren wird bei Abschiebungen von Familien teilweise massive Gewalt gegen Eltern angewendet, auch vor den Augen der Kinder.

„Die Angst vor Abschiebungen ist für geflüchtete Kinder und Jugendliche ein ständiger Begleiter. Sie haben Angst davor, in ein Land abgeschoben zu werden, aus dem sie mit ihren Eltern fliehen mussten – oder in ein Land zurückkehren zu müssen, das sie noch nie gesehen haben“, beschreibt Jibran Khalil von Jugendliche ohne Grenzen die Situation in Brandenburg und bundesweit.

Abschiebungen aus Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen

Zum Teil erfolgen Abschiebung sogar aus Kindertagesstätten, Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen heraus. So geschehen bei einer Sammelabschiebung im Juni 2019 in die Russische Föderation, bei der die Ausländerbehörde Cottbus einen 14-Jährigen aus einer stationären Jugendhilfeeinrichtung abholen ließ.1 Der besondere Schutzzweck von Jugendhilfeeinrichtungen als „sichere Orte“ wurde dabei vollständig ignoriert.

„Kinder und Jugendliche müssen zur Schule und Kita gehen können, ohne Angst zu haben. Jugendhilfeeinrichtungen müssen sichere Orte sein“, erklärt Tobias Klaus vom Bundesfachverband umF. „Wir fordern von Bund und Ländern ein eindeutiges Bekenntnis zum Schutz vor Abschiebung aus Kindertagesstätten, Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen.“

Familientrennungen verstoßen gegen die UN-Kinderrechtskonvention

In Brandenburg kommt es durch Behördenhandeln bei Abschiebungen außerdem regelmäßig zu Familientrennungen. Nicht selten werden diese auch als Druckmittel gegen betroffene Familien eingesetzt, um sie zur Ausreise zu drängen. Ein besonders tragisches Beispiel für behördliche Härte war der Fall von zwei Mädchen aus Spremberg, 13 und 15 Jahre alt, deren Eltern bei selbiger Sammelabschiebung im Sommer dieses Jahres gezwungen wurden, ohne ihre Töchter in den Abschiebeflieger zu steigen. Eine Wiederherstellung der Familieneinheit hat bis zum heutigen Tag nicht stattgefunden. Der Flüchtlingsrat kritisierte das Behördenhandeln als klar rechtswidrig.2

„Art. 9 der UN-Kinderrechtskonvention verbietet eine nicht dem Kindeswohl entsprechende Trennung der Kinder von den Eltern ausdrücklich“, erklärt Lotta Schwedler vom Flüchtlingsrat Brandenburg. „Es kann nicht sein, dass von den Abschiebebehörden das nationale Interesse möglichst vieler Abschiebungen über das weltweit in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegte Interesse des Kindeswohls gestellt wird“, so Lotta Schwedler weiter.

Der Flüchtlingsrat Brandenburg begrüßt, dass mit der im August 2019 verabschiedeten Weisung3 der Landesregierung zukünftig keine Abschiebungen aus Jugendhilfeeinrichtungen, Schulen und Kindertagesstätten mehr stattfinden dürfen. Gleichzeitig kritisieren wir die Ausnahmen, die in der Weisung für minderjährige Kinder von Eltern, die mehrmals straffällig geworden sind, vorgesehen sind. Die Beachtung des Kindeswohls ist nicht relativierbar! Kinder dürfen nicht für das Verhalten ihrer Eltern in Sippenhaft genommen werden. Auch eine vorübergehende Trennung von Familien, wie sie in der aktuellen Weisung weiterhin vorgesehen ist, ist nicht hinnehmbar. Der Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, die Rechte von Kindern uneingeschränkt einzuhalten und bei jedem behördlichen Handeln das Kindeswohl prioritär zu beachten.

 

Pressekontakt:
Lotta Schwedler
0176 21 42 5057

 

 

1 PM vom 14.06.2019: Aus der Jugendhilfeeinrichtung in den Abschiebecharter – Abschiebungseifer geht in Brandenburg vor Kindeswohl: https://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/aus-der-jugendhilfeeinrichtung-in-den-abschiebecharter-abschiebungseifer-geht-in-brandenburg-vor-kindeswohl#more-18664.

2 Siehe oben.

3 Allgemeine Weisung Nr. 07/2019 Aufenthaltsrecht; Ausführungsbestimmungen zu § 3 Nr. 6 und § 4 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Ausländerrecht (AW-AuslR 2019.07) vom 28. August 2019: https://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/aw_auslr_2019_07#.