Offener Brief an die Delegierten der SPD Brandenburg
Die Sondierungsgespräche zwischen den Unionsparteien und der SPD sind abgeschlossen. Mit Blick auf den im kleinen Kreis der Herren Thomas deMaizière (CDU, Sachsen), Volker Bouffier (CDU, Hessen), Boris Pistorius SPD, Niedersachsen) und Ralf Stegner (SPD, SH) übereinstimmend verabredeten Teil „Migration und Integration“ im Sondierungsergebnispapier vom 12. Januar 2018 spricht PRO ASYL von einem „Sieg der Hardliner über Humanität und Menschenrechte“. Der IPPNW urteilt: „Wer Schutzsuchende so behandelt, hat die Menschenrechte grundsätzlich falsch verstanden.“ Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst moniert, die Koalition setze „auf ein ‚weiter so‘ in der tödlichen europäischen Abschottungspolitik und innenpolitisch auf rückwärtsgewandte Verschärfungen“.
Wir schließen uns dieser Kritik an. Wir fordern die Delegierten der SPD Brandenburg, einem Koalitionsvertrag mit dem Ziel einer wie im Sondierungspapier beschriebenen Zuwanderungs- und Integrationspolitik nicht zuzustimmen.
Zur notwendigen Kritik im Einzelnen:

• Wenn die Sondierer erklären, sie wollten die Fluchtursachen bekämpfen und nicht die Flüchtlinge, und dazu einen seit Jahrzehnten ständig wiederholten, jedoch aller Erfahrung nach nicht ernst gemeinten Katalog von Lippenbekenntnissen diesbezüglicher Maßnahmenlisten, und an anderer Stelle nur mit mehr EU-Grenzabschottung und Militärinterventionen konkret werden, bleibt dieses Versprechen unglaubwürdig.

• Wenn die Sondierer erklären, „dass die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft nicht überfordert werden darf“ und deshalb den Zugang von Schutzbedürftigen verfassungswidrig auf höchstens 220.000 Personen per anno deckeln wollen, versuchen sie lediglich den eine vielfältige Gesellschaft ablehnenden Stammtischen zu genügen und den Geflüchteten die Verantwortung einer seit Jahren unzureichenden und fehlgeleiteten Sozialpolitik zuzuweisen.

• Wenn die Sondierer die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte verlängern und den generellen Familiennachzug gleich mit beseitigen und stattdessen durch eine Bingo-Politik ungenügender „humanitärer Kontingente“ von 1.000 Menschen/Monat ersetzen wollen, bedeutet dies einen Verstoß gegen den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes, internationale und europäische Menschenrechtsvereinbarungen und die UN-Kinderrechtskonvention. Es ist unerträglich, wenn in diesem Zusammenhang Eltern, Eheleute und Geschwister, die sich angesichts extrem brutalisierter Kriegsgewalt, Zwangsrekrutierung und Menschenhandel nicht anders zu helfen wissen, als ihre Kinder durch deren Flucht zu retten, von den Sondierern die Gefährdung des Kindeswohls vorgehalten und das Recht auf Familieneinheit verwehrt wird.

• Wenn die Sondierer ankündigen, Geduldete zwar bei Spracherwerb und Beschäftigung zu fördern, aber einer auf Integrationsleistung beruhenden Verfestigung von Aufenthaltsrechten eine Absage erteilen, leisten sie den im Lande bei der Integration engagierten Betrieben, Unternehmensverbänden, Integrationsfachdiensten, Ehrenamtlichen und nicht zuletzt den integrationswilligen Geflüchteten einen Bärendienst. Die geplante „bundesweit einheitliche“ 3+2-Regelung für Auszubildende lässt befürchten, dass hier die bayrische oder Berliner Praxis, nach der fast alle ausbildungswilligen Geflüchteten abgewiesen werden, Vorbild sein soll. Dass unter der Überschrift „Wirtschaft…“ zwar Frauen, geringqualifizierte Beschäftigte und Ältere zu Zielgruppen verstärkter Weiterbildung erklärt werden, aber Zugewanderte weder an dieser Stelle noch unter der Überschrift „Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht“ als zu fördernde Zielgruppe identifiziert werden, lässt eine großkoalitionäre Beschäftigungspolitik erwarten, die Migrant*innen und Geflüchtete allenfalls auf die Rolle der Verfügungsmasse eines unsteten Arbeitsmarktes reduziert.

• Wenn die Sondierer der regelmäßigen Internierung von allen Asylsuchenden in sogenannten Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER) das Wort reden, bedeutet dies einen Rückfall in die asyl- und integrationspolitische Fehlerpolitik vergangener Jahrzehnte. Soziale Isolierung von schutzbedürftigen Kindern und Erwachsenen bedeutet, ihnen soziale Kontakte zu verwehren, den Zugang zu unabhängigen Beratungs- und ehrenamtlichen Unterstützungsangeboten, Rechtsanwält*innen sowie Bildungs- und Förderangeboten zu verhindern. Damit wird die von Fachpolitik, Wirtschaft und Verbänden geforderte frühestmögliche Integration konterkariert.

• Wenn die Sondierer lapidar erklären, „vollziehbar Ausreisepflichtige müssen unser Land verlassen“, und mit dem Angebot der vermeintlich „freiwilligen Rückkehr“ in lebensgefährliche Herkunfts- und risikoreiche Dublin-Staaten sich die humanitäre Potenz der künftigen GroKo schon erschöpft, ist zu befürchten, dass sich hier eine unbarmherzige Abschiebungspolitik ankündigt.

• Wenn die Sondierer Herkunftsländer regelmäßig als sicher dekretieren wollen, weil unter 5 % der Asylgesuche von dort stammender Flüchtlinge anerkannt werden, würde dabei eine der zentralen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen kaum erfüllbar sein: Verfolgungsfreiheit und der regelmäßige Ausschluss struktureller Menschenrechtsdefizite können in keinem Land angenommen werden, aus dem bis zu 5 % der Bevölkerung zu fliehen versuchen. Mit einer solchen Regelung würde sich die kommende Bundesregierung ihrer Verpflichtung auf faire Prüfung entziehen.

• Dass unter der Überschrift „Migration und Integration“ und auch a anderer Stelle im Sondierungspapier kein Wort verloren wird über zunehmenden strukturellen Rassismus und grassierende Unkultur von Diskriminierungstatbeständen und gleichzeitig keinerlei nachhaltige Bekämpfungsstrategien angekündigt werden, ist weiterer Anlass zu Kritik an den Verabredungen zwischen den möglicherweise künftigen Großkoalitionären. Das Sondierungspapier zeichnet sich darüber hinaus durch eine selektive Zuwanderungspolitik nach dem Motto ‚teile und herrsche‘ aus, wenn die Förderungsbedarfe von EU-Zuwandernden in prekärer Beschäftigungssituation anerkannt und die Überlebensstrategien von aufstockenden Drittstaatenangehörigen als Zuwanderung in die Sozialsysteme verunglimpft werden.

Anlässlich der parteiinternen Beratungen zu möglicherweise anstehenden Koalitionsverhandlungen fordern wir die Delegierten der SPD Brandenburg auf, dem so im Sondierungspapier niedergelegten flüchtlings- und zuwanderungsfeindlichen Politikkonzept und in dieser Qualität zur Migrations- und Integrationspolitik festgelegten künftigen Koalitionsvereinbarungen die Zustimmung zu verweigern.
Brandenburg, 20. Januar 2018
Der Offene Brief an die Delegierten der SPD Brandenburg als PDF