Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Menschenrechte (10.12.2021)

 

Eine 21-jährige Schülerin wird aus ihrer Familie und ihrer erfolgreichen Schullaufbahn gerissen, ein Elternpaar mit seinen Kindern mitten in der Nacht zur Abschiebung abgeholt, geflüchtete Menschen werden trotz nachgewiesener Ansteckungsgefahr in Sammelunterkünften untergebracht und  völkerrechtswidrige Zurückweisungen an den europäischen Außengrenze von der Landesregierung nicht klar kritisiert: Der Flüchtlingsrat Brandenburg beobachtet in seinem Bundesland immer wieder massive Verletzungen von Grund- und Menschenrechten. Dies obwohl sich das Land Brandenburg in seiner Verfassung ausdrücklich zu den menschenrechtlichen Grundsätzen bekennt, wie sie heute vor dreiundfünfzig Jahren am 10. Dezember 1948 in der Allgemeinen Charta der Menschenrechte verabschiedet wurden und an die im Rahmen des Internationalen Tages der Menschenrechte alljährlich erinnert wird.

 

Der Flüchtlingsrat nimmt den diesjährigen Menschenrechtstag zum Anlass, drei kritische Schlaglichter auf aktuelle Bereiche von Grund- und Menschenrechtsverletzungen in Brandenburg zu werfen:

 

Zentralisierte Unterbringung macht krank

Mit Beginn der Covid-19-Pandemie wurden Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte zu noch gefährlicheren Orten für ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Obwohl mit einer dezentralisierten Unterbringung in Wohnungen die vielfältigen Probleme – nicht nur beim Gesundheitsschutz – gar nicht erst entstehen würden, werden die meisten geflüchteten Menschen in Brandenburg ohne Not auch weiterhin zentralisiert untergebracht. Mit dem engstirnigen Festhalten an dieser Form der Unterbringung werden wissentlich Gesundheitsgefährdungen in Kauf genommen und für Geflüchtete ein Infektionsschutz zweiter Klasse geschaffen.

Seit Pandemiebeginn mahnen Zivilgesellschaft und Wissenschaft: Das Leben in Massenunterkünften erhöht nachweislich das Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Ohne die Möglichkeit ihre Kontakte zu reduzieren teilen sich die Menschen dort Küchen und Bäder und häufig auch die Schlafräume mit etlichen Nachbarinnen und Nachbarn, obwohl Gerichte schon im vergangenen Jahr entschieden haben, dass unter den beengten Wohnbedingungen Infektionsschutzmaßnahmen nicht einhaltbar sind. „Es fehlt am politischen Willen, die notwendigen Maßnahmen entschlossen umzusetzen: Es braucht Wohnungen statt Sammelunterkünfte“, konstatiert Mara Hasenjürgen vom Flüchtlingsrat Brandenburg.

 

Abschiebungen ohne jede Rücksicht auf Humanität

Allein in den letzten Novembertagen war der brandenburgische Flüchtlingsrat mit drei Abschiebungen befasst, an denen sich auch das Land Brandenburg beteiligt hat. Insgesamt 23 Menschen wurden hierbei nach Ghana, Serbien sowie in die Russische Föderation abgeschoben. „Abschiebungen sind Ausdruck einer durch und durch inhumanen Asylpolitik und grundsätzlich abzulehnen, aber was sich hier hinter einzelnen Abschiebungen an haarsträubenden Geschichten verbirgt, schlägt wieder einmal jedem Fass den menschenrechtlichen Boden aus“, kritisiert Vincent da Silva vom Flüchtlingsrat.

Da ist beispielsweise die Geschichte einer 21-jährigen Schülerin, die seit fünf Jahren in Deutschland lebt, in zweieinhalb Jahren Abitur machen und danach studieren wollte. Ihre Zukunftspläne wurden jäh zerstört, als Beamte sie in ihrem Zuhause im Landkreis Dahme-Spree aufgesucht haben. Innerhalb weniger Minuten musste sie sich von ihrer gesamten Familie verabschieden und fand sich kurze Zeit später mit 100 Euro Handgeld alleine in Moskau wieder, von wo aus sie sich bis in die tschetschenische Hauptstadt Grosny durchschlagen musste.
Es ist auch die Geschichte einer siebenköpfigen Familie mit Kindern zwischen 3 und 16 Jahren, die nachts um 3 Uhr in Teltow aus dem Schlaf gerissen wurde und unmittelbar von Schönefeld aus nach Serbien abgeschoben wurde.
Und es ist die Geschichte eines Menschen, der die letzten fast 8 Jahre in Deutschland gelebt hat und trotz massiver gesundheitlicher Probleme, die ihn fast die Hälfte der Zeit zu stationären Krankenhausaufenthalten zwangen, immer wieder versucht hat, sich ein Leben auf eigenständigen Füßen aufzubauen. Soweit es seine schwere Erkrankung erlaubte, war Herr G. beim Arbeiter-Samariter-Bund ehrenamtlich engagiert. Seine mit viel Kraft und Durchhaltewille aufgebaute Lebensperspektive wurde brüsk zerstört, als er vor rund zwei Wochen unvermittelt in die Russische Föderation abgeschoben wurde.

In jeder dieser Geschichte zeigt sich in frappierender Deutlichkeit, wie wenig Brandenburg menschrechtlich verbriefte Grundrechte in der konkreten Praxis achtet. Statt den vielen Menschen, die nicht hier geboren, aber längst hier angekommen sind, zu signalisieren, dass sie sich auf eine großzügige und humane Auslegung der Bleiberechtsregelungen und damit eine Lebensperspektive in Sicherheit verlassen können, werden drastische Exempel statuiert.

 

Grenzen abgeschottet – bis zur letzten, tödlichen Konsequenz

Seit Wochen demonstriert die Europäische Union in großer Geschlossenheit an ihrer Außengrenze zum benachbarten Belarus die praktische Umsetzung eines Wertesystems, das Grenzschutz unverblümt über den Schutz von notleidenden Menschen stellt. Eine (buchstäbliche) Geschlossenheit, die bereits mehr als ein Dutzend Menschen irgendwo unterwegs auf der der neuen Fluchtroute von Belarus über Polen nach Deutschland mit ihrem Leben bezahlen musste. Einer dieser Menschen verstarb kurz nachdem er auf brandenburgischem Boden angekommen war.

Wie weit auch Brandenburg bereit ist, hier seine menschenrechtliche Grundorientierung über Bord zu werfen, spiegelt sich nicht zuletzt in der Haltung der Landesregierung gegenüber dieser politischen und humanitären Tragödie wider: Wenn Brandenburgs Innenminister Polens Handeln bezüglich der Menschen, die an der polnisch-belarussischen Grenze um ihr nacktes Überleben kämpfen, als „grundsätzlich richtig“ bezeichnet, werden ganz offensiv einer hermetischen Abriegelung der EU-Außengrenze das Wort geredet und völkerrechtswidrige Push Backs legitimiert. „Statt sich in aller Deutlichkeit gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen auszusprechen, die derzeit im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus oder im Geflüchtetenlager im nur 50 Kilometer von Frankfurt (Oder) entfernten polnischen Wędrzyn stattfinden, wird blind die europäische Abschottung verteidigt und letztlich das grundlegende Menschenrecht auf Asyl mit Füßen getreten“, kommentiert Vincent da Silva die düstere Lage.

 

Pressekontakt:
Flüchtlingsrat Brandenburg
info@fluechtlingsrat-brandenburg.de
Vincent da Silva: 0151-42027426