Nach wie vor ist die Gesundheit geflüchteter Menschen durch die Unterbringung in engen Sammelunterkünften in besonderer Weise gefährdet. Anders als während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 scheinen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Ausländerbehörden und Sozialämter in Brandenburg nahezu im Normalbetrieb zu arbeiten. Geflüchtete im ganzen Land erhalten immer wieder Post von Behörden, auf die sie innerhalb kurzer Fristen, zum Beispiel eine oder zwei Wochen, antworten müssen, sonst drohen ihnen negative Konsequenzen. Selbst Abschiebungen werden trotz der weltweiten Notlage weiterhin durchgeführt.

Gleichzeitig sind die Möglichkeiten sich bei einer Beratungsstelle oder Rechtsanwält*innen Unterstützung zu suchen begrenzt – oder nur unter der Gefährdung der Gesundheit aller Beteiligter umsetzbar. Wenn Reisen und Kontakte vermieden werden sollen, wenn es in Sammelunterkünften kein WLAN oder keinen Mobilfunkempfang gibt und wenn Beratungsstellen ihre Angebote pandemiebedingt ausdünnen und digitalisieren müssen, dann ist der Zugang zu Rechtsschutz systematisch erschwert.

 

Residenzpflicht und Verlassenserlaubnisse in der Erstaufnahme

Zusätzlich verschärft hat sich die Lage in den Erstaufnahmeeinrichtungen, seit die Zentrale Ausländerbehörde im Zuge der Pandemie die Residenzpflicht der Bewohner*innen auf ein absolutes Minimum, nämlich den jeweiligen Landkreis begrenzt hat. Geflüchtete in der Erstaufnahme können nun nur nach Beantragung einer Genehmigung (§ 12 Abs. 5 AufenthG) ihren juristischen Beistand, Fachärzt*innen oder Beratungsstellen außerhalb des Landkreises aufsuchen.

Besorgniserregend ist insbesondere die mündliche Auskunft aus der ZABH, dass Termine bei Anwält*innen oder Beratungsstellen nicht zu den „begründeten Ausnahmefällen“ zählten, in denen Verlassenserlaubnisse erteilt werden würden.

Um die Bewegungsfreieit der Menschen zum Zwecke des Gesundheitsschutzes einzuschränken, können die Länder Regelungen im Rahmen von Infektionsschutzverordnungen erlassen. Die Nutzung der Residenzpflicht zur Pandemieeindämmung ist inakzeptabel, da sie eine strukturelle Schlechterstellung geflüchteter Menschen gegenüber der restlichen Bevölkerung darstellt.

 

Zustellung von fristgebundenen Bescheiden

Mit großer Sorge beobachten wir, dass während des aktuellen Lockdowns weiterhin ablehnende Asylbescheide durch das BAMF und fristgebundene rechtsmittelfähige Bescheide durch Sozial- und Ausländerbehörden zugestellt werden. Für Ratsuchende wird aufgrund kurzfristiger Fristsetzungen in asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Verfahren sowie durch eine pandemiebedingt veränderte Erreichbarkeit von Beratungsstellen die Einhaltung von Rechtsmittelfristen systematisch erschwert. Der dadurch beschränkte Zugang zum Recht für Geflüchtete ist höchst problematisch.

Viele Beratungsstellen sind dazu übergegangen, ausschließlich im Home-Office zu arbeiten. Andere bieten Termine nach persönlicher Terminvergabe an. Der Zugang zu Beratungsstellen ist denjenigen vorbehalten, die Zugang zu Telefon und/ oder Internet haben oder die entsprechende Unterstützung von Sozialarbeiter*innen in ihren Unterkünften erhalten. Darüber hinaus können Beratungsstellen ihre Räumlichkeiten unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes nur eingeschränkt nutzen, sodass persönliche Beratungskontakte nicht im notwendigen Umfang möglich sind.

Die Versendung von Bescheiden führt dazu, dass sowohl Geflüchtete als auch Sozialarbeitende in Beratungsstellen und Sammelunterkünften einem erhöhten gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind, da eine Reduzierung der Kontakte unter diesen Bedingungen unmöglich ist. Der Druck auf Beratende ist entsprechend hoch.

Der Gesetzgeber hat unmissverständlich dazu aufgerufen, Kontakte zu vermeiden und zum Home-Office überzugehen, um Ansteckungen zu verhindern – die Vorgehensweise des BAMF und der lokalen Behörden halten wir daher für unverantwortlich und gesundheitsgefährdend. 

 

Erstaufnahme

Negative Bescheide wurden in den Erstaufnahmeeinrichtungen auch in Hochzeiten der Pandemie noch zugestellt. Außerdem finden weiterhin Anhörungen statt, bei denen die Anhörenden nicht immer Masken tragen. In der Außenstelle der Erstaufnahme (EAE) in Doberlug-Kirchhain gibt es nahezu keinen Handyempfang, sodass telefonische Beratung oder Terminvereinbarung unmöglich wird. Dies hat unkoordiniertes Erscheinen in den Beratungsstellen zur Folge, was wiederum die Einhaltung von Kontakt- und Hygienebestimmungen erschwert. In der EAE Wünsdorf waren Betroffene vergeblich auf der Suche nach fachlicher Unterstützung, um auf die für sie unverständlichen Bescheide aus der ersten Januarwoche antworten zu können.

Darüber hinaus war Anfang des Jahres der Psychosoziale Dienst (PSD) der Zentralen Ausländerbehörde über mehrere Wochen hinweg nur sehr stark eingeschränkt erreichbar, während gleichzeitig eine extrem hohe psychische Belastung und Angespanntheit bei den Bewohner*innen zu beobachten war.

Landkreise

Aber auch an Geflüchtete in den Landkreisen werden und wurden – auch in der Zeit des Jahreswechsels, in der die allermeisten Beratungsstellen und Anwält*innen geschlossen hatten – negative Asylbescheide versandt. Diese Praxis widersprach der Aussage des Innenministeriums, das uns mitteilte, dass das BAMF nur positive Bescheide zustellen wolle. Auch Aufforderungen zur Mitwirkung in Widerrufsverfahren ergehen weiterhin durch das BAMF. Warum die Prüfung von Widerrufsverfahren während des Lockdowns zwingend nötig ist, ist nicht nachvollziehbar.

Die Ausländerbehörden einiger Landkreise versenden Aufforderungen zur fristgebundenen Erfüllung von Pass- und Mitwirkungspflichten, obwohl sowohl Ämter als auch Botschaften während des Lockdowns geschlossen sind. Dies trägt nicht zu einer Beruhigung der Situation bei, sondern verursacht unnötige Ängste.

Wir fordern deshalb, die Zustellung von negativen BAMF-Bescheiden sowie von fristgebundenen Bescheiden, bei denen verspätete Antworten sich nachteilig auf das Verfahren auswirken können, mit sofortiger Wirkung einzustellen. Außerdem sollen Anhörungen ausgesetzt werden. Das Frühjahr 2020 hat gezeigt, dass dieser Weg gangbar ist. Die Ausländer- und Sozialbehörden sollten vor Versendung von Bescheiden oder Aufforderungen zur Mitwirkung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren die Verhältnismäßigkeit und Durchführbarkeit der Maßnahmen prüfen.

Auch der Republikanische Anwälte- und Anwältinnenverein fordert in einem öffentlichen Appell, der sich an alle Gerichte, die Justizministerien der Länder und an das BAMF richtet:

„Auch die Behörden und die Justiz sind in der Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden und dementsprechende Maßnahmen zu ergreifen.“

Dieser Forderung schließen wir uns an.