Distr. ALLGEMEIN HCR/GIP/03/05
4. September 2003
DEUTSCH, Original: ENGLISCH
h6. RICHTLINIEN ZUM INTERNATIONALEN SCHUTZ:
Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
UNHCR gibt diese Richtlinien in Wahrnehmung seines Mandats gemäß der Satzung des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge von 1950 sowie gestützt auf Artikel 35 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Artikel II des dazugehörigen Protokolls von 1967 heraus. Die vorliegenden Richtlinien ergänzen das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens von 1951 und des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Neuauflage, Genf, Januar 1992). Sie sind eine Zusammenfassung der Background Note on the Application of the Exclusion Clauses: Article 1 F of the 1951 Convention Relating to the Status of Refugees (4. September 2003), die Bestandteil der Stellungnahme von UNHCR in dieser Frage ist. Sie ersetzen Die Ausschlussklausel: Richtlinien zu ihrer Anwendung (UNHCR, Genf, 1. Dezember 1996) und die Anmerkungen zu den Ausschlussklauseln (UNHCR, Genf, 30. Mai 1997) und sind unter anderem das Ergebnis der Zweiten Schiene der Globalen Konsultationen zum internationalen Schutz, die sich beim Expertentreffen im Mai 2001 in Lissabon (Portugal) mit diesem Thema beschäftigte. Eine Aktualisierung dieser Richtlinien schien auch angesichts der jüngsten Entwicklungen im Völkerrecht angezeigt.
Die vorliegenden Richtlinien sind als Hilfsmittel zur Rechtsauslegung für Regierungen, Vertreter der Rechtsberufe, Entscheidungsträger und die Richterschaft sowie für UNHCR-Mitarbeiter gedacht, die vor Ort mit der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft befasst sind.
Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
I. EINLEITUNG
A. Hintergrund
1. Sowohl Absatz 7 (d) der UNHCR-Satzung von 1950 als auch Artikel 1 F des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (im Nachfolgenden „Genfer Flüchtlingskonvention“ genannt) und Artikel I (5) der Konvention der
Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) zur Regelung spezifischer Aspekte der Flüchtlingsprobleme in Afrika von 1969 (im Nachfolgenden „OAU-Konvention“ genannt) verpflichten die Vertragsstaaten und UNHCR, bestimmten Personen, die ansonsten die Voraussetzungen erfüllen würden, den Flüchtlingsstatus zu verweigern. Diese Bestimmungen werden allgemein als „die Ausschlussklauseln“ bezeichnet. Die vorliegenden Richtlinien fassen die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen zusammen – weitere Anleitungen finden sich in der UNHCR Background Note on the Application of the Exclusion Clauses: Article 1 F of the 1951 Convention Relating to the Status of Refugees* (im Nachfolgenden „das Hintergrundpapier“ genannt), welches wesentlicher Bestandteil dieser Richtlinien ist.
2. Der Hintergrund der Ausschlussklauseln, der berücksichtigt werden sollte, wenn ihre Anwendung in Erwägung gezogen wird, ist die Überlegung, dass bestimmte Verbrechen so schwerwiegend sind, dass die Täter keinen internationalen Flüchtlingsschutz verdienen. Ihr Hauptzweck ist es, den Urhebern abscheulicher Taten und schwerer gemeiner Straftaten den internationalen Flüchtlingsschutz zu versagen und sicherzustellen, dass solche Personen die Institution Asyl nicht dazu missbrauchen, einer gerichtlichen Verantwortung für ihre Taten zu entgehen. Die Ausschlussklauseln müssen „genauestens beachtet werden“, um die Institution Asyl zu schützen, heißt es in dem Beschluss Nr. 82 (XLVIII) des UNHCR-Exekutivkomitees von 1997. Da der Ausschluss jedoch schwerwiegende Folgen haben kann, ist es gleichzeitig wichtig sicherzustellen, dass die Klauseln nur mit äußerster Vorsicht und erst nach einer umfassenden Beurteilung der fallspezifischen Umstände angewendet werden. Die Ausschlussklauseln sollten somit stets restriktiv ausgelegt werden.
3. Die Ausschlussklauseln der Genfer Flüchtlingskonvention sind abschließend aufgezählt. Das ist bei der Auslegung von Artikel I (5) der OAU-Konvention zu berücksichtigen, der eine nahezu identische Formulierung enthält. Artikel 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention besagt, dass die „Bestimmungen dieses Abkommens keine Anwendung auf Personen [finden], in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist,
(a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen;
(b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden;
(c) dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“
B. Beziehung zu anderen Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention
4. Artikel 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention ist von Artikel 1 D zu unterscheiden, der sich auf bestimmte Kategorien von Personen bezieht, die von einer anderen Organisation oder Institution der Vereinten Nationen als UNHCR Schutz oder Beistand erhalten.(1)
Artikel 1 F ist auch von Artikel 1 E zu unterscheiden, der Personen betrifft, die internationalen Schutz nicht benötigen (im Gegensatz zu „nicht verdienen“). Die Ausschlussklauseln dürfen auch mit den Artikeln 32 und 33 (2) des Abkommens nicht verwechselt werden, die sich mit der Ausweisung bzw. mit dem Entzug des Schutzes vor Refoulement von anerkannten Flüchtlinge beschäftigen, die eine Gefahr für den Aufnahmestaat darstellen (zum Beispiel weil sie in diesem Land schwere Verbrechen begangen haben). Artikel 33 (2) nimmt Bezug auf das zukünftige Risiko, das ein bereits anerkannter Flüchtling für den Aufnahmestaat darstellen kann.
C. Zeitlicher Rahmen
5. Artikel 1 F (a) und 1 F (c) beziehen sich auf Verbrechen unabhängig davon, wann und wo sie begangen wurden. Im Gegensatz dazu beschränkt sich der Anwendungsbereich von Artikel 1 F (b) ausdrücklich auf Verbrechen, die außerhalb des Aufnahmelandes begangen wurden, bevor die Täter dort als Flüchtlinge aufgenommen wurden.
D. Aberkennung oder Widerruf aufgrund von Ausschlussgründen
6. Wenn Umstände, die zum Ausschluss geführt hätten, erst nach Zuerkennung des Flüchtlingsstatus bekannt werden, rechtfertigt dies dessen Aberkennung aufgrund der Ausschlussgründe. Umgekehrt sollten Informationen, die Zweifel an der Grundlage derAusschlussentscheidung aufkommen lassen, Anlass zu einer erneuten Prüfung geben, ob nicht doch Anspruch auf Flüchtlingsstatus besteht. Ist ein Flüchtling an Handlungen beteiligt, die unter Artikel 1 F (a) oder 1 F (c) fallen, kommen die Ausschlussklauseln und der Widerruf des Flüchtlingsstatus zur Anwendung, vorausgesetzt, es sind alle Kriterien für die Anwendung dieser Klauseln erfüllt.
E. Zuständigkeit für die Feststellung des Ausschlusses
7. Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention/des Protokolls von 1967 bzw. der OAU-Konvention sowie UNHCR müssen prüfen, ob die Ausschlussklauseln im Zusammenhang mit der Feststellung des Flüchtlingsstatus anzuwenden sind. Absatz 7 (d) der UNHCR-Satzung bezieht sich auf ähnliche Gründe wie Artikel 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention, doch sollten sich UNHCR-MitarbeiterInnen von Artikel 1 F leiten lassen, weil dieser später und konkreter ausformuliert wurde.
F. Folgen des Ausschlusses
8. Ein Staat darf zwar einer Person, die er ausgeschlossen hat, keinen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder der OAU-Konvention gewähren, doch ist er nicht gezwungen, in der Folge bestimmte Maßnahmen zu treffen. Der betreffende Staat kann beschließen, der ausgeschlossenen Person den Verbleib im Land aus anderen Gründen zu gestatten. Aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung kann es jedoch erforderlich sein, die in Frage stehende Person strafrechtlich zu verfolgen oder auszuliefern. Beschließt UNHCR, jemanden vom Flüchtlingsstatus auszuschließen, bedeutet dies, dass diese Person den Schutz und Beistand des Amtes nicht mehr in Anspruch nehmen kann.
9. Eine ausgeschlossene Person kann auf der Grundlage anderer internationaler Übereinkommen vor der Rückstellung in ein Land geschützt werden, in dem ihr Misshandlung droht. So untersagt etwa das Übereinkommen von 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe strikt die Rückstellung einer Person in ein Land, in dem sie Gefahr liefe, gefoltert zu werden. Andere internationale und regionale Menschenrechtsinstrumente enthalten ähnliche
Bestimmungen.(2)
II. INHALTLICHE ANALYSE
A. Artikel 1 F (a): Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
10. Zu den verschiedenen internationalen Vertragswerken, die in Bezug auf die Definition dieser internationalen Verbrechen eine Orientierungshilfe bieten, zählen das Übereinkommen von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die vier Genfer Abkommen von 1949 zum Schutz von Kriegsopfern und die zwei Zusatzprotokolle von 1977, die Satzungen der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, die Charta des Internationalen Militärtribunals von 1945 (die „Londoner Charta“) und zuletzt die Satzung des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998, die am 1. Juli 2002 in Kraft trat.
11. Gemäß der Londoner Charta besteht ein Verbrechen gegen den Frieden aus „Planung, Vorbereitung, Anstiften zu oder Führen eines Angriffskrieges oder eines Krieges, durch den internationale Verträge, Abkommen oder Zusicherungen verletzt werden oder die Teilnahme an einer Verschwörung zum Zwecke der Erfüllung eines der vorgenannten Ziele“. Angesichts der Natur dieses Verbrechens kann es nur von Personen verübt werden, die eine hohe Stellung in der Machtstruktur innehaben und einen Staat oder ein staatenähnliches Gebilde vertreten. Diese Bestimmung wurde in der Praxis nur selten angewendet.
12. Bestimmte Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht stellen Kriegsverbrechen dar.(3) Solche Verbrechen können sowohl in internationalen als auch in internen bewaffneten Konflikten verübt werden, wobei es von der Art des Konflikts abhängt, wie das Verbrechen beschaffen sein muss. Als Kriegsverbrechen werden Straftaten qualifiziert wie etwa die vorsätzliche Tötung und Folterung von Zivilpersonen, wahllose Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und das mutwillige Vorenthalten eines fairen und ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens gegenüber einem Zivilisten oder einem Kriegsgefangenen.
13. Die hiervon zu unterscheidenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit (4), die Handlungen wie Völkermord, Mord, Vergewaltigung und Folter einschließen, sind dadurch charakterisiert, dass sie Teil eines groß angelegten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sein müssen. Aber auch eine einzelne Handlung kann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, wenn sie Teil eines kohärenten Systems oder einer Reihe systematischer und wiederholter Handlungen ist. Da solche Verbrechen sowohl in Friedenszeiten als auch in bewaffneten Konflikten vorkommen können, stellen sie die umfangreichste Verbrechenskategorie des Artikel 1 F (a) dar.
B. Artikel 1 F (b): Schwere nichtpolitische Verbrechen
14. In diese Kategorie fallen keine leichten Vergehen. Auch Straftatbestände, die die legitime Ausübung von Menschenrechten unter Strafe stellen, werden von Art. 1 F (b) nicht erfasst. Für die Feststellung, ob eine bestimmte Straftat tatsächlich genügend schwerwiegend ist, sind internationale und nicht die lokalen Standards maßgeblich. Dabei sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: die Art der Handlung, der tatsächlich zugefügte Schaden, die Art des zur strafrechtlichen Verfolgung des Verbrechens eingesetzten Verfahrens, die Form der Strafe sowie die Frage, ob das Verbrechen in den meisten Rechtsordnungen ein schweres Verbrechen darstellen würde. Zum Beispiel wären Mord, Vergewaltigung und bewaffneter Raub zweifellos schwere Verbrechen, einfacher Diebstahl hingegen sicherlich nicht.
15. Ein schweres Verbrechen ist als nichtpolitisch anzusehen, wenn es überwiegend aus anderen Motiven (etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben) begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, dann überwiegen nichtpolitische Beweggründe. (5) Motivation, Kontext, Methoden und die Verhältnismäßigkeit eines Verbrechens zum angestrebten Ziel sind wichtige Faktoren bei der Beurteilung seines politischen Charakters. Die Tatsache, dass ein bestimmtes Verbrechen in einem Auslieferungsabkommen als nichtpolitisch bezeichnet wird, ist zwar von Bedeutung, jedoch an sich nicht beweiskräftig. Ungeheuerliche Gewalttaten wie jene, die gemeinhin als „terroristisch“ bezeichnet werden, stehen in einem derartigen Missverhältnis zu jeglichem politischen Ziel, dass sie die Prüfung betreffend den überwiegenden Beweggrund mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen werden. Außerdem sollten die politischen Ziele eines Verbrechens, das als politisch motiviert gelten soll, im Einklang mit den menschenrechtlichen Grundsätzen stehen.
16. Artikel 1 F (b) verlangt außerdem, dass das Verbrechen „außerhalb des Aufnahmelandes begangen wurde, bevor [die Person] dort als Flüchtling aufgenommen wurde“. Personen, die „schwere nichtpolitische Verbrechen“ innerhalb des Asyllandes begehen, unterstehen der Strafgerichtsbarkeit dieses Landes und, im Fall besonders schwerer Verbrechen, den Artikeln 32 und 33 (2) der Genfer Flüchtlingskonvention.
C. Artikel 1 F (c): Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen
17. Angesichts der umfassenden, allgemeinen Formulierung der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen ist der Anwendungsbereich dieser Kategorie eher unklar, weshalb dieser Unterabsatz eng ausgelegt werden sollte. Er wird auch nur selten angewendet, und in vielen Fällen sind meist ohnehin die Artikel 1 F (a) oder 1 F (b) anwendbar. Eine Berufung auf Artikel 1 F (c) kommt nur unter extremen Umständen im Fall von Handlungen vor, die einen Angriff auf die Grundlagen der Koexistenz der internationalen Staatengemeinschaft darstellen. Solche Handlungen müssen eine internationale Dimension haben. In diese Kategorie würden Verbrechen fallen, die den Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die friedlichen Beziehungen zwischen Staaten erschüttern könnten, sowie schwere, anhaltende Verletzungen der Menschenrechte. Da in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen die grundlegenden Prinzipien niedergelegt sind, die die Staaten in ihren gegenseitigen Beziehungen zu beachten haben, scheinen grundsätzlich nur Personen, die eine Machtposition in einem Staat oder einem staatenähnlichen Gebilde innehaben, in der Lage zu sein, derartige Taten zu verüben. Im Fall von Terroranschlägen verlangt die korrekte Anwendung von Artikel 1 F (c) eine Einschätzung, inwieweit die Tat das internationale Geschehen berührt – in Bezug auf die Schwere des Verbrechens, seine internationalen Auswirkungen sowie seine Folgen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit.
D. Persönliche Verantwortung
18. Ein Ausschluss ist nur dann gerechtfertigt, wenn die persönliche Verantwortung für ein Verbrechen nach Artikel 1 F nachgewiesen ist. Konkrete Überlegungen zu Verbrechen gegen den Frieden und zu Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, wurden oben erörtert. Im Allgemeinen liegt eine persönliche Verantwortung dann vor, wenn eine Person die Straftat begangen hat oder in dem Bewusstsein, dass ihre Handlung oder Unterlassung die Ausübung des Verbrechens erleichtern würde, wesentlich zu ihrer Durchführung beigetragen hat. Die Person muss das Verbrechen nicht persönlich begangen haben. Es kann genügen, wenn sie zu einem gemeinsamen verbrecherischen Unternehmen angestiftet, ihm Vorschub geleistet oder daran teilgenommen hat.
19. Der Umstand, dass eine Person zu irgendeinem Zeitpunkt ein ranghohes Mitglied einer repressiven Regierung oder Mitglied einer Organisation war, der gesetzwidrige Gewalt vorgeworfen wird, begründet allein noch keine persönliche Verantwortung für Straftaten, die unter Artikel 1 F fallen. Eine Vermutung für die Verantwortung kann allerdings dann vorliegen, wenn die Person Mitglied einer Regierung blieb, die eindeutig Handlungen im Sinne von Artikel 1 F begangen hat. Außerdem sind die Ziele, Aktivitäten und Methoden mancher Gruppen so außerordentlich gewalttätig, dass aus der freiwilligen Mitgliedschaft in solchen Gruppen auch die Vermutung einer persönlichen Verantwortung abgeleitet werden kann. Im Fall einer solchen Vermutung müssen verschiedene Fragen sorgfältig geprüft werden, etwa die aktuellen Aktivitäten der Gruppe, ihre Organisationsstruktur, die Stellung der Person in der Organisation und ihre Fähigkeit, maßgeblich Einfluss auf die Aktivitäten der Gruppe zu nehmen, sowie die mögliche Fragmentierung der Gruppe. Außerdem können derartige Vermutungen im Zusammenhang mit Asylverfahren widerlegt werden.
20. Bei ehemaligen Kombattanten sollte nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass sie auszuschließen sind, natürlich abgesehen von Fällen, in denen Berichte über schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht vorliegen und die betreffende Person damit in Verbindung gebracht wird.
E. Gründe für die Zurückweisung von persönlicher Verantwortung
21. Eine strafrechtliche Verantwortung liegt normalerweise nur dann vor, wenn die betreffende Person wissentlich und vorsätzlich wesentliche Tatbestandselemente begangen hat. Ist der subjektive Tatbestand nicht gegeben, etwa weil der Person eine wesentliche Tatsache nicht bekannt war, kann keine persönliche strafrechtliche Verantwortung angenommen werden. In manchen Fällen besitzt die Person vielleicht nicht die geistigen Fähigkeiten, um für ein Verbrechen verantwortlich gemacht zu werden, etwa wegen Unzurechnungsfähigkeit, geistiger Behinderung, unfreiwilliger Intoxikation oder, im Fall von Kindern, wegen mangelnder Reife.
22. Es sollten Faktoren in Betracht gezogen werden, die allgemein bei der Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe in Betracht kommen. Zum Beispiel kann der Entschuldigungsgrund des Handelns auf Befehl nur dann gelten, wenn die Person rechtlich verpflichtet war, dem Befehl nachzukommen, oder wenn sie von dessen Gesetzwidrigkeit keine Kenntnis hatte und wenn der Befehl an sich nicht offensichtlich rechtswidrig war. Nötigung kann geltend gemacht werden, wenn die Person die betreffende Handlung notwendigerweise und vernünftigerweise setzen musste, um ihren unmittelbar drohenden Tod oder eine fortgesetzte oder unmittelbar drohende schwere Körperverletzung ihrer oder einer anderen Person abzuwenden, und wenn die Person nicht beabsichtigte, schwereren Schaden zuzufügen als jenen, den sie zu verhindern suchte. Handlungen zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung anderer oder von Eigentum müssen in Bezug auf die Bedrohung sowohl angemessen als auch verhältnismäßig sein.
23. Gilt das Verbrechen als verbüßt, ist die Anwendung der Ausschlussklauseln möglicherweise nicht mehr gerechtfertigt. Das kann der Fall sein, wenn die Person die Strafe für das betreffende Verbrechen verbüßt hat oder etwa wenn die Straftat lange Zeit zurückliegt. Maßgebliche Faktoren sind hier die Schwere der Tat, die vergangene Zeit und jeder Ausdruck des Bedauerns durch die betreffende Person. Bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Begnadigung oder Amnestie sollte berücksichtigt werden, ob diese Ausdruck des demokratischen Willens des betreffenden Landes ist und ob die Person auf andere Weise zur Verantwortung gezogen wurde. Einige Verbrechen sind jedoch so schwerwiegend und verabscheuungswürdig, dass die Anwendung von Artikel 1 F selbst im Fall einer Begnadigung oder Amnestie als gerechtfertigt angesehen wird.
F. Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit
24. Die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn ein Ausschluss und seine Folgen in Betracht gezogen werden, ist ein nützliches analytisches Mittel, durch das sichergestellt wird, dass die Ausschlussklauseln im Einklang mit dem übergeordneten humanitären Ziel und im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention angewendet werden. Das Konzept hat sich, insbesondere hinsichtlich Artikel 1 F (b), weiterentwickelt und stellt in vielen Bereichen des Völkerrechts ein grundsätzliches Prinzip dar. Die Ausschlussklauseln müssen daher, wie bei jeder Ausnahme von einem garantierten Menschenrecht, unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Ziel angewendet werden, d.h. dass die Schwere der betreffenden Tat und die Folgen eines Ausschlusses gegeneinander abzuwägen sind. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung wird in der Regel bei Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Handlungen nach Artikel 1 F (c) nicht notwendig sein, da es sich bei diesen um besonders verabscheuungswürdige Verbrechen handelt. Von Bedeutung ist und bleibt sie jedoch im Fall von Verbrechen nach Artikel 1 F (b) und weniger schweren Kriegsverbrechen nach Artikel 1 F (a).
G. Bestimmte Handlungen und Sonderfälle
25. Obwohl es keine international vereinbarte Definition des Terrorismus (6) gibt, ist davon auszugehen, dass Handlungen, die üblicherweise als terroristisch angesehen werden, unter die Ausschlussklauseln fallen, wobei allerdings Artikel 1 F nicht als einfache Antiterrorismus-Bestimmung aufgefasst werden darf. Überlegungen bezüglich eines Ausschlusses werden sich oft erübrigen, da Personen, die des Terrorismus verdächtigt werden, für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gar nicht in Fragekommen, da sie eine rechtmäßige Strafverfolgung und nicht Verfolgung aus Konventionsgründen befürchten.
26. Von allen Ausschlussklauseln kommt hier wahrscheinlich Artikel 1 F (b) am ehesten in Betracht, da terroristische Gewalthandlungen meist in keinem Verhältnis zum vorgeblichen politischen Ziel stehen. Jeder Fall wird für sich zu beurteilen sein. Wenn eine Person auf einer nationalen oder internationalen Liste verdächtigter Terroristen (oder von Personen, die mit einer bestimmten terroristischen Organisation in Verbindung gebracht werden) steht, sollte dies die Prüfung der Ausschlussklauseln auslösen, doch stellt dieses Faktum allein in der Regel noch keinen ausreichenden Beweis dar, der den Ausschluss rechtfertigen würde. Allein die Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation sollte nicht zum Ausschluss führen, wobei sich allerdings die Frage nach der persönlichen Verantwortung stellen kann, wenn die Organisation allgemein als notorisch gewalttätig gilt und die Mitgliedschaft freiwillig ist. In solchen Fällen werden die Rolle und Stellung der betreffenden Person in der Organisation, ihre eigenen Aktivitäten sowie die damit verbundenen, in Absatz 19 erwähnten Fragen zu prüfen sein.
27. Da Flugzeugentführungen mit Sicherheit als „schwere Verbrechen“ im Sinne von Artikel 1 F (b) einzustufen sind, kann ein Ausschluss nur aus absolut zwingenden Gründen unterbleiben. Folter ist nach dem Völkerrecht verboten. Abhängig vom Kontext werden als Folter anzusehende Handlungen daher generell zum Ausschluss gemäß Artikel 1 F führen.
28. Grundsätzlich gelten die Ausschlussklauseln auch für Minderjährige, dies jedoch nur dann, wenn sie strafmündig sind und die geistigen Fähigkeiten besitzen, um für ein Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Angesichts der Schutzbedürftigkeit von Kindern sollte mit größter Behutsamkeit vorgegangen werden, wenn der Ausschluss von Minderjährigen in Erwägung gezogen wird, wobei deren Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, etwa Nötigung, mit besonderer Sorgfalt geprüft werden sollten.Bei Mandatsanerkennungen durch UNHCR sind alle derartigen Fälle vor der endgültigen Entscheidung der Zentrale in Genf vorzulegen.
29. Ist der/die Hauptantragsteller/in vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossen, müssen die Angehörigen ihren eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nachweisen. Werden sie als Flüchtlinge anerkannt, kann sich die ausgeschlossene Person nicht auf das Recht auf Familieneinheit berufen, um Schutz oder Beistand als Flüchtling zu erhalten.
30. Die Ausschlussklauseln können zwar auch im Fall von Massenfluchtbewegungen anwendbar sein, doch können sich bei der erforderlichen Einzelprüfung in der Praxis operative und praktische Schwierigkeiten ergeben. Dennoch sollten alle Personen bis zum Beginn dieser Prüfung Schutz und Beistand erhalten. Dabei gilt es selbstverständlich, bewaffnete Personen von der zivilen Flüchtlingsbevölkerung zu trennen.
III. VERFAHRENSFRAGEN
31. Da der Ausschluss schwerwiegende Folgen nach sich zieht, ist es unerlässlich, dass in das Verfahren zur Ausschlussfeststellung strenge Verfahrensgarantien eingebaut werden. Ausschlussentscheidungen sollten grundsätzlich im Zuge des regulären Asylverfahrens getroffen werden und keinesfalls im Zulässigkeits- oder beschleunigten Verfahren, damit sichergestellt ist, dass eine vollständige Beurteilung der Sach- und Rechtsfragen des Einzelfalls stattfinden kann. Da Artikel 1 F eine Ausnahmebestimmung ist, sollte in der Regel der Einschluss vor dem Ausschluss geprüft werden, doch gibt es diesbezüglich keine strenge Regel. Der Ausschluss kann in Ausnahmefällen ohne spezielle Bezugnahme auf Einschlussfragen geprüft werden,
(i) wenn Anklage vor einem internationalen Strafgericht erhoben wurde,
(ii) wenn offensichtliche Beweise vorliegen, dass der/die Antragsteller/in in ein außerordentlich schweres Verbrechen verwickelt ist, insbesondere wenn es sich um spektakuläre Fälle nach Artikel 1 F (c) handelt, und
(iii) in Rechtsmittelverfahren, in denen der Ausschluss im Mittelpunkt steht.
32. Zur Behandlung von Ausschlussfällen könnten Ausschluss-Fachgruppen innerhalb der für die Statusfeststellung zuständigen Dienststellen eingerichtet werden, um zu gewährleisten, dass diese Fälle zügig bearbeitet werden. Es ist ratsam, Ausschlussentscheidungen bis zum Abschluss eines gegebenenfalls eingeleiteten inländischen Strafverfahrens aufzuschieben, da dessen Ausgang maßgebliche Folgen für den Asylantrag haben kann. Jedenfalls muss im Allgemeinen eine endgültige Entscheidung über einen Asylantrag vorliegen, bevor ein Ausweisungsbefehl vollstreckt wird.
33. Die Vertraulichkeit des Asylantrags sollte zu jeder Zeit beachtet werden. Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Kontaktaufnahme mit dem Herkunftsland aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein, doch selbst in diesen Fällen sollte die Existenz des Asylantrags der Geheimhaltung unterliegen.
34. Die Beweislast im Hinblick auf den Ausschluss liegt bei dem Staat (oder UNHCR), und im Zweifelsfall sollte wie in allen Asylverfahren zugunsten des/der Antragstellers/in entschieden werden. Wurde die Person jedoch von einem internationalen Strafgericht verurteilt oder ist davon auszugehen, dass sie, wie in Absatz 19 der vorliegenden Richtlinien angeführt, persönlich Handlungen zu verantworten hat, die den Ausschluss nach sich ziehen, liegt die Beweislast bei dem/der Betroffenen und es liegt an ihm/ihr, die vermutete Anwendbarkeit des Ausschlusses zu widerlegen.
35. Der für die Anwendung von Artikel 1 F erforderliche Beweisstandard verlangt klare und glaubwürdige Beweise. Ein/e Antragsteller/in muss nicht unbedingt wegen der Straftat verurteilt worden sein, es ist auch nicht der im Strafrecht nötige Beweisstandard anzulegen. Es können zum Beispiel Geständnisse und Zeugenaussagen genügen, wenn diese vertrauenswürdig sind. Mangelnde Bereitschaft des/der Antragstellers/in zur Zusammenarbeit ist an sich noch kein Schuldbeweis für die zum Ausschluss führende Handlung, wenn keine eindeutigen und überzeugenden Beweise vorliegen. Es kann jedoch irrelevant sein, den Ausschluss zu prüfen, wenn durch fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit die wesentlichen Fakten eines Asylantrags nicht ermittelt werden können.
36. Ein Ausschluss sollte nicht auf der Grundlage sensiblen Beweismaterials beschlossen werden, das nicht offen gelegt und von der betroffenen Person daher auch nicht widerlegt werden kann. In Ausnahmefällen können anonyme Informationen (wenn deren Quelle nicht preisgegeben wird) herangezogen werden, jedoch nur dann, wenn dies zum Schutz von Zeugen unbedingt notwendig ist und die Möglichkeit des/der Asylsuchenden, den Inhalt solcher Angaben zu widerlegen, nicht wesentlich eingeschränkt wird. Vertrauliche Beweismittel oder Beweismittel, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit geprüft werden (deren Inhalt ebenfalls geheimgehalten wird), sollten nicht die Grundlage für einen Ausschluss sein. Stehen nationale Sicherheitsinteressen auf dem Spiel, können diese durch die Einführung von Verfahrensgarantien geschützt werden, die gleichzeitig das Recht des/der Asylsuchenden auf ein faires Verfahren wahren.
* Das Dokument liegt gegenwärtig lediglich in englischer Sprache vor.
(1) Siehe UNHCR, „Anmerkungen über die Anwendbarkeit von Artikel 1 D des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auf palästinensische Flüchtlinge“, Oktober 2002.
(2) Nähere Informationen hierzu enthält Anhang A zum Hintergrundpapier.
(3) Vertragswerke, die Kriegsverbrechen definieren, sind in Anhang B zum Hintergrundpapier aufgeführt.
(4) Vertragswerke, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit definieren, sind in Anhang C zum Hintergrundpapier aufgeführt.
(5) Siehe Absatz 152 des UNHCR-Handbuchs über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, Neuauflage 1992.
(6) Vertragswerke zum Thema Terrorismus sind in Anhang D zum Hintergrundpapier aufgeführt.