h6. Inszenierung einer Debatte. Harald Glöde ist Mitarbeiter der „Forschungsgesellschaft Flucht und Migration“ (FFM). Der Beitrag erschien zuerst im Jahrbuch 1999/2000 des „Komitee für Grundrechte und Demokratie“, Köln 2000
Zur Eröffnung der Computer-Messe CeBIT am 23. Februar 2000 in Hannover propagierte Bundeskanzler Schröder medienwirksam die Idee einer Green Card für hoch qualifizierte Computerspezialisten. Zuvor war in der Informationstechnologiebranche ein hoher Arbeitskräftemangel öffentlich diskutiert worden. Er erhielt für seinen Vorschlag eine selten gekannte einmütige Unterstützung – insbesondere von Seiten der Unternehmerverbände. Diese kritisierten allenfalls, dass die Initiative nicht weit genug gehe und forderten, sie auf andere Branchen auszuweiten. Als hätten alle nur auf dieses Signal gewartet, meldeten sich innerhalb kürzester Zeit VertreterInnen aller Parteien, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Gruppen zu diesem Thema zu Wort. Daraus entstand eine bis heute anhaltende öffentliche Debatte um die gesetzliche Regelung der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland.
Auffällig an dieser Debatte ist der hohe Symbolgehalt, der der angekündigten und zum 1. August 2000 in Kraft tretenden Green-Card-Regelung anhaftet. Dabei sieht sie lediglich vor, dass in den nächsten drei Jahren bis zu 20.000 Computer-Fachkräften eine auf fünf Jahre befristete Arbeitserlaubnis erteilt werden kann, sofern sie die Gehaltskriterien und Qualifikationsanforderungen erfüllen. Zunächst aber wird die Green-Card-Regelung auf 10.000 Fachkräfte beschränkt. Danach soll erst einmal ein weiterer Arbeitskräftebedarf ermittelt werden.
Der geringe Umfang der Arbeitskräfteanwerbung unterstreicht den vorwiegend symbolischen Charakter der Regierungsinitiative, zumal die vorhandenen Möglichkeiten nach den Bestimmungen der Arbeitsaufenthaltsverordnung und der Anwerbestoppausnahmeverordnung es schon bisher erlaubten, bestimmte ausländische Fachkräfte in Deutschland die Arbeit aufnehmen konnten. Allein im Jahr 1999 sind mit Hilfe dieser Regelungen immerhin 37.700 ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen. Eine Vereinfachung dieser Verordnungen hätte sicherlich viel schneller zur Anwerbung der gewünschten Arbeitskräfte geführt. Öffentlich wird ein dringender Bedarf an mindestens 70.000 – 80.000 Computer-Fachkräften konstatiert – der Vorsitzende von IBM Deutschland geht sogar von 200.000 fehlenden Informationstechnologie-Experten aus. Insofern deutet die jetzt beschlossene, über drei Jahre verteilte Anwerbung von maximal 20.000 Computerspezialisten, Softwareexperten, Programmierern und Informatikern einmal mehr darauf hin, dass mit der Green-Card-Debatte andere, weitergehende Ziele verfolgt werden.
Meines Erachtens ist die Green-Card-Idee, die von der Bundesregierung geschickt lanciert wurde, nur ein erster Schritt hin auf einen von ihr längerfristig angelegten Diskurs, wie Zuwanderung nach Deutschland zukünftig zu regeln sei. Die damit angestrebten gesetzlichen Grundlagen, wie in diesem Zusammenhang üblich euphemistisch Einwanderungsgesetz genannt, werden von Bundeskanzler Schröder folgerichtig auf die nächste Legislaturperiode verschoben.
Die Notwendigkeit einer Zuwanderung wird in Studien und Prognosen von Bevölkerungs- und Migrationswissenschaftlern schon seit längerem behauptet. Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird auf Grund der erwarteten demographischen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten deutlich abnehmen.
Anfang dieses Jahres wurde eine Studie der UNO mit dem Titel „Migration als Ersatz: Eine Lösung für zurückgehende und alternde Gesellschaften?“ veröffentlicht. Danach wird die Bevölkerung in Deutschland von derzeit ca. 80 Millionen auf ca. 60 Millionen Menschen im Jahre 2050 zurückgehen – mit einschneidenden Konsequenzen für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft, für den Arbeitsmarkt und für die Finanzierung der Alterssicherungssysteme. Für die Entwicklung der benachbarten westeuropäischen Länder werden ähnliche Prognosen aufgestellt. Um allein die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland auf dem Niveau von 1995 zu halten, werden nach dieser Untersuchung jährlich 500.000 Zuwanderer gebraucht.
Da die deutschen Wirtschaftsverbände einen zukünftigen Arbeitskräftemangel und dadurch allgemein den Verlust der eigenen Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit im Rahmen der globalen ökonomischen Umstrukturierungsprozesse befürchten, plädieren sie für eine geregelte Zuwanderung. Diese Befürchtungen haben letztendlich die Politik dazu gezwungen, in Fragen der Zuwanderung entsprechend umzudenken und einen öffentlichen Positionswandel vorzubereiten.
h6. Green-Card-Debatte als Testballon
Zwei Momente machen diese politische Kehrtwende aus der Perspektive der Regierungsparteien so schwer kalkulierbar und steuerbar:
Zum einen wurden in Deutschland jahrelang die Fragen von Flucht und Migration vor allem unter den Aspekten der Bedrohung der inneren Sicherheit und der untragbaren sozialen und finanziellen Belastung thematisiert. Seit Anfang der 90er Jahre wird die vorgebliche Gefährdung der inneren Sicherheit durch unkontrollierte, illegale Einwanderung dazu missbraucht, die Grenzabschottung kontinuierlich auszubauen, Polizeigesetze zu verschärfen (z.B. Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollen, Schleierfahndung) und Flüchtlinge und Asylsuchende gesetzlich auszugrenzen (z.B. durch die verschiedenen Novellierungen des Asylbewerberleistungsgesetzes). Noch bis in die jüngste Zeit wurde von einzelnen Politikern mit einer „Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht“- oder „Das Boot ist voll“-Rhetorik das Bedrohungsszenario weiterer Zuwanderung beschworen. Diese die Ausländerfeindlichkeit schürenden und die soziale Ausgrenzung vorantreibenden Äußerungen sind hingegen ohne jegliche materielle Grundlage. Denn die Zahlen der Asylsuchenden sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Auch der Wanderungssaldo für die BRD ist negativ. Das heißt, mehr Menschen wandern aus der Bundesrepublik Deutschland ab, als neue hinzukommen.
Zum anderen bildet das seit Jahrzehnten krampfhaft und hartnäckig gepflegte Bild, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, den dominanten Hintergrund, vor dem die aktuellen Auseinandersetzungen geführt werden. Dieses hat zur Verfestigung latenter Ausländerfeindlichkeit beigetragen, die sich mittlerweile bis weit in die Mitte der Gesellschaft eingefressen hat. Wie gut sich diese fremdenfeindliche Grundstimmung parteipolitisch und wahltaktisch funktionalisieren lässt, hat nicht zuletzt die Unterschriftenkampagne der CDU in Hessen gegen die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts eindrucksvoll bewiesen. Der Versuch des CDU-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen, mit seiner „Kinder-statt-Inder“-Kampagne an diese wahltaktisch erfolgreiche Aktion anzuknüpfen, fand allerdings in der Wirtschaft keine Zustimmung. Dementsprechend überlebte die rassistisch plakative Formel die Landtagswahl in Nordrheinwestfalen nicht. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass derartige partei- und wahltaktisch funktionalisierte Kampagnen in Zukunft wieder betrieben werden.
Dieser Umstand produzierter Vorurteile lässt die Bundesregierung entsprechend vorsichtig agieren und ist eine mögliche Erklärung dafür, warum sie sich weigert, noch in dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Die Pläne des Bundesinnenministers, eine überparteiliche Expertenkommission unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagspräsidentin Süssmuth einzurichten, die Vorschläge für europataugliche Einwanderungsregeln erarbeiten soll, können ebenso als Hinweis gewertet werden, dass die Bundesregierung ihr Vorgehen langfristig anlegt, um Legitimation, Konsens und Zustimmung zu beschaffen.
Die bisher zur Einwanderungsproblematik bezogenen Positionen lassen befürchten, dass sich dennoch keine grundsätzliche Debatte um das Selbstverständnis Deutschlands als Einwanderungsland entwickeln wird. Weitgehende Übereinstimmung zwischen den Parteien besteht darin, dass Deutschland, d.h. die deutsche Wirtschaft, kurz- und längerfristig qualifizierte, ausländische Fachkräfte benötigt. Die CDU hat in fast schon revolutionär zu bezeichnendem Tempo einen Teilrückzug angetreten und ihren ideologischen Ballast („Deutschland ist kein Einwanderungsland“) abgeworfen. Dafür werden jetzt Flüchtlingsschutz und Asylfragen mit der Zuwanderungsdebatte verknüpft und die Abschaffung der kümmerlichen Reste des Art. 16 GG gefordert. Die Bedrohungsszenarien werden weiterhin aufrechterhalten und auf die „unnützen Flüchtlinge“ umgeschrieben. Bei den Vertretern der Unternehmerverbände stehen eindeutig die Nützlichkeits- und Effektivitätserwartungen im Vordergrund. Gewerkschaftsvertreter warnen vor Lohndumping und weisen auf die selbstverschuldete Ausbildungsmisere hin. Flüchtlingshilfeorganisationen wie Pro Asyl und amnesty international wehren sich dagegen, Arbeitskräfteanwerbung mit dem Flüchtlingsrecht zu vermischen, und fordern in diesem Zusammenhang, das Arbeitsverbot für Asylsuchende aufzuheben.
h6. Kein Ende der Ausgrenzung
Grundsätzliche Fragestellungen, in denen Flucht und Migration als globale Erscheinungen thematisiert und in denen Ursachen und Hintergründe untersucht werden, tauchen in dieser Debatte überhaupt nicht auf. Migrationspolitische Ansätze, in denen das sich ständig vergrößernde, für den Norden so vorteilhafte Reichtumsgefälle und die schuldhafte Verstrickung der mächtigen NATO-Staaten in ökologische und kriegerische Zerstörungen in den Blick geraten, finden kein Gehör. Die Diskussion um politische Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten wird systematisch ausgeblendet. Regieren wird einmal mehr reduziert auf die Verwaltung dem Anschein nach unabänderlicher ökonomischer „Sachzwänge“. Parteipolitische Differenzen erschöpfen sich im Streit um die effizientere Bewältigung derselben. Die Macht, zu bestimmen, wer denn nun nach Deutschland kommen darf, wer angeworben werden soll, liegt allein beim aufnehmenden Staat und den Wirtschaftsverbänden. Die Interessen der potenziellen Herkunftsländer werden in der Debatte nicht berücksichtigt. Dies betrifft beispielsweise die erheblichen Ausbildungskosten bei den aktuell zur Diskussion stehenden IT-Spezialisten, die in den zumeist wirtschaftlich armen Herkunftsländern anfallen, während Arbeitskraft und Wissen der ArbeitsmigrantInnen in den reichen Ländern verwertet werden.
Zuwanderung wird also fast ausschließlich unter Gesichtspunkten des Nutzens und der Wirksamkeit für die deutsche Wirtschaft thematisiert. In diesem Zusammenhang scheint es selbstverständlich zu sein, dass Menschen ausschließlich zu Gunsten und zur Verfügung der Wirtschaft und deren Entwicklung da zu sein und dementsprechend zu funktionieren haben. Selbst die Erkenntnis aus der Zeit der Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen in den 60ern und frühen 70ern, auch heute immer noch euphemistisch „Gastarbeiter“ genannt, die sich in dem Satz ausdrückte: „Es wurden Arbeitskräfte gerufen, es kamen – Menschen“, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Die ArbeitsmigrantInnen selbst, d.h. die angeworbenen Menschen mit ihren sozialen und kulturellen Bedürfnissen tauchen in dieser Debatte nicht auf. Sie werden reduziert auf eine von der ökonomischen Entwicklung in Deutschland abhängige Variable, zyklisch angeheuert und gefeuert, reduziert auf eine disponible Verfügungsmasse zum Nutzen der deutschen Wirtschaft oder, was neoliberal auf dasselbe hinausläuft, zum Nutzen der gemeinwohligen nationalen Interessen.
An den einseitigen nationalen Wirtschaftsinteressen orientieren sich die rechtlichen Bedingungen, unter denen Arbeitskräfte angeworben werden und unter denen sie in Deutschland zu arbeiten haben. Die nach Herkunftskriterien erfolgende, weitere Ausdifferenzierung arbeits- und sozialrechtlicher Standards am gleichen Arbeitsplatz erhöht den Druck auf gewerkschaftlich erkämpfte Rechte, auf kulturell verfestigte Arbeitsmuster und erleichtert deren Aushöhlung. Die rechtliche Unsicherheit, in der sich die angeworbenen ArbeitsmigrantInnen bewegen, setzt sich fort in der Rechtlosigkeit illegalisierter MigrantInnen, die feudalen Abhängigkeits- und frühkapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen unterworfen sind. Diese Rechtlosigkeit der Illegalisierten und die Aufweichung rechtlicher Standards fördern institutionelle Diskriminierung und alltäglichen Rassismus und untergraben langfristig auch die Bedingungen eines humanen Zusammenlebens und die Rechte aller BürgerInnen. Mit der rechtlichen und sozialen Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Minderheiten (ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlinge, Illegale) werden Projektionsflächen geschaffen, die eine aggressive, den Minderheiten feindlich und argwöhnisch gegenüberstehende „Identitätsbildung“ bei den Mehrheitsbürgern ermöglichen.
Die Intentionen der aktuellen Debatte um die Green Card stehen offensichtlich nicht im Gegensatz zu der in den letzten Jahren vorangetriebenen flüchtlings- und asylpolitischen Ausgrenzungs- und Abschottungspraxis. Die angestrebte Einwanderungsgesetzgebung ergänzt diese Politik komplementär. Mit der Grenzabschottung wird beabsichtigt, die „selbstbestimmte“, unkontrollierte sogenannte Armuts- und Elendsmigration von der Festung Europa fern zu halten. Diejenigen, die die todbringenden Grenzkontrollen dennoch unter Einsatz ihres Lebens überwinden, werden in den informellen oder illegalisierten Sektor des Arbeitsmarktes gedrängt. Sie übernehmen dort die gesellschaftlich unattraktiven Arbeiten im untersten Segment der nationalen beziehungsweise europäischen Lohnhierarchie. Mit den in der Diskussion befindlichen Einwanderungsregelungen, die mit der Green Card erprobt werden, könnten entsprechend den Anforderungen der deutschen Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräfte ausgewählt und angeworben werden. Insofern gleicht ein derart gestaltetes Einwanderungsgesetz die Mängel der „totalen“ Abschottung aus und ergänzt sie um ein Instrumentarium, das eine Steuerung der Arbeitskräftemigration ermöglichen soll. Die scheinbar „großzügige“ Aufnahme derjenigen, „die uns nützen“, legitimiert politisch gleichzeitig, gegen die weniger „nützlichen“, d.h. gegen Flüchtlinge und illegale EinwanderInnen schärfer vorzugehen. Hier, in der Inszenierung der Debatte, findet die allseits hochgelobte Rede des Bundespräsidenten endlich ihren Platz.
h6. Gleichstellung aller MigrantInnen!
Es ist begrüßenswert, dass die bornierte und alle Realitäten negierende Position, Deutschland sei kein Einwanderungsland, aufgegeben wird. Ob aber die Aufgabe der Parole bereits als kleiner, längst überfälliger Schritt aus der nationalistisch verengten Standortgemeinschaftsecke heraus ins vielbeschworene Weltoffene gewertet werden kann, ist fraglich. Gegen jegliche Versuche, die Zuwanderung von Arbeitskräften mit der Aufnahme von vor Verfolgung Schutz Suchenden zu vermischen und zu verrechnen und den humanitären und menschenrechtlich verpflichtenden Flüchtlingsschutz mit der Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen zu verknüpfen, ist eindeutig Position zu beziehen. Das Flüchtlingsrecht formuliert einen international garantierten Rechtsanspruch, den Menschen in Anspruch nehmen können, die sich subjektiv verfolgt fühlen. Dieser ist in völkerrechtlich verbindlichen Konventionen festgeschrieben, die auch zum Teil wie die Genfer Flüchtlingskonvention von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden sind. Darüber hinaus ist der Flüchtlingsschutz aus humanitären und menschenrechtlichen Normen geboten. Er hat mit der ökonomisch begründeten Zuwanderungsdebatte nichts gemein.
Es reicht jedoch nicht, nur in dieser politisch und medial vorstrukturierten Polarisierung, Flüchtlingsschutz versus Einwanderung, eindeutig Position zu beziehen. Es wird auch darum gehen müssen, die Menschen stets ausgrenzenden, ausschließenden und diskriminierenden Prämissen in den vermeintlich fortschrittlicheren Positionen zu skandalisieren. Niemand darf sich mit einem Einwanderungsgesetz, das mit Quoten für sogenannte humanitäre Härtefälle versehen wird, als dem angeblich kleineren Übel zufrieden geben. Die dem inszenierten Zuwanderungsdiskurs zu Grunde liegenden diskriminierenden und rassistischen Ausschlussmechanismen müssen herausgearbeitet und ins Zentrum politisch menschenrechtlicher Kritik gestellt werden.
Jedes denkbare Einwanderungsgesetz normiert ausschließende Kriterien und Quoten, die im Interesse der deutschen Wirtschaft ZuwanderInnen diskriminieren. Solche Kriterien und Quoten erlauben es den Behörden, eine rassistisch begründete Auswahl zu treffen. Werden für die angeworbenen ArbeitsmigrantInnen andere rechtliche und soziale Bedingungen als für die einheimische Bevölkerung gesetzt, werden Menschen minderen Werts und Rechts geschaffen. Sie wären prädestiniert, Ziele und Opfer eines alltäglichen Rassismus zu werden, der aus dem institutionellen erwächst.
Die Forderung nach rechtlicher und sozialer Gleichstellung von EinwanderInnen dient aber nicht allein dem Schutz von Flüchtlingen und MigrantInnen. Sie dient zugleich dem politischen Bestreben, die Verfassungen der Einwanderungsgesellschaften menschenrechtsgemäß und radikaldemokratisch zu gestalten. Gegen die vorherrschende Tendenz, Gesellschaft und Menschen den Verwertungsbedingungen des asozialen Kapitals und den Rationalitätskriterien kapitalistischer Produktion zu unterwerfen, muss der universelle Geltungsanspruch der Menschenrechte gesetzt werden. Die unveräußerlichen Menschenrechte stehen jedem Menschen qua Existenz zu. Sie sind nicht gebunden an einen privilegierten StaatsbürgerInnenstatus. Die Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung muß sich an einem solchen Menschenrechtsverständnis orientieren. Darüber hinaus können Flucht und Migration nicht allein im Kontext nationalstaatlich bornierter Interessen diskutiert werden. In einer Zeit, in der der Begriff Globalisierung fast schon zum Allgemeinplatz geworden ist, darf gerade das Thema Migration nicht nationalstaatlich beschränkt behandelt werden. Die weltweite strukturelle Ungleichheit in den Lebensbedingungen gehört zu den zentralen Ursachen, die Migration auslösen. Das zunehmende Reichtumsgefälle, das nicht zuletzt durch die kapitalistische Expansion westeuropäischer Staaten verursacht wird, wirkt Gleichheit und Freiheit des je besonderen einzelnen, wie sie in den Menschenrechten vorausgesetzt und deklariert werden, fundamental entgegen und muss zum zentralen Thema werden. Erst wenn hier Änderungen gelingen, können die Ursachen von Armutsmigration und Flucht außer Kraft gesetzt werden. Die Perspektive muss darauf gerichtet sein, weltweite strukturelle Ungleichheit zu beseitigen und international eine Umverteilung der ungleichen Lebenschancen zu erkämpfen.
Wenn eine solche Umorientierung nicht erfolgt, wird sich die metropolitane Migrationspolitik immer mehr auf Ausgrenzung und Kontrolle beschränken, deren Folgen, demokratisch und bürgerrechtlich gesehen, kaum absehbar sind.
Ob sich eine menschenrechtlich begründete Kritik am ökonomischen Primat der Zuwanderungsdebatte wird durchsetzen können, wird hängt davon ab, inwieweit es gelingt, mit menschenrechtlichen Positionen der Entrechtlichung von ArbeitsmigrantInnen entgegenzutreten und mit diesen gemeinsam die Einhaltung sozialer Mindeststandards zu erzwingen. Der Erfolg wird auch davon abhängen, wieweit es gelingt, der weiteren Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung von Flüchtlingen und der Entrechtung der Illegalisierten entgegenzutreten und mit ihnen zusammen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht durchzusetzen.
h6. Zwei Seiten einer Medaille
Ohne praktische Bezugspunkte läuft alle berechtigte Kritik an der Einwanderungsdebatte Gefahr, sich im regierungsamtlich inszenierten Diskurs zu verfangen und selbst noch in der Kritik legitimatorisch funktionalisiert zu werden.