h6. Bericht zur Informationsveranstaltung
Am 8.5.2004 fand eine vom Flüchtlingsrat Brandenburg organisierte Informationsveranstaltung zur Bleiberechtssituation afghanischer Flüchtlinge in Potsdam statt. Als Referenten waren Frau RA Renate Ebrahaim aus Berlin, sowie Herrn Karsten Lüthke vom UNHCR anwesend. Es haben ca. 70 afghanische Flüchtlinge aus verschiedenen Landkreisen an der Veranstaltung teilgenommen. Herr Lüthke stellte zu Beginn den neuesten vom UNHCR herausgegebenen Lagebericht zu Afghanistan vor (im Internet zu finden unter www.unhcr.ch). Auf Nachfrage, warum gerade kritische Punkte sehr vage formuliert sind, machte er auf die schwierige Situation des UNHCR aufmerksam, der einerseits rückkehrwillige Afghanen in Pakistan materiell und logistisch bei der Rückkehr unterstützt, andererseits die Sicherheitslage als äußerst bedenklich einstuft.
Zusammenfassend vertritt der UNHCR die Ansicht, dass die Rückkehr von Afghanen aus Europa grundsätzlich nur freiwillig erfolgen sollte, da die Versorgungs- und Sicherheitslage eine erzwungene Rückkehr nicht vertreten lässt. Auch Menschen, die freiwillig zurückkehren möchten, sollten sich vor einer Entscheidung unbedingt gründlich informieren, auf welche konkrete Situation sie in ihrem Heimatort treffen werden und eine solche Entscheidung nicht überstürzt treffen. Als besonders gefährdet werden vom UNHCR folgende Personengruppen angesehen: kranke Menschen, alleinstehende Frauen und Kinder ohne familiären Rückhalt in Afghanistan, Familien mit Kleinkindern, ehemalige hohe Funktionäre. Eine medizinische Versorgung chronischer oder schwerer Erkrankungen ist praktisch nicht möglich, ein Überleben von Frauen und Kindern ohne Unterstützung von Familienmitgliedern ist ebenso nicht möglich, da die Unterstützung durch Hilfsorganisationen nicht ausreicht; die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern unter 5 Jahren ist die höchste in der Welt, der Staat ist nicht in der Lage, Menschen vor Übergriffen anderer, Racheakten wirksam zu schützen. Der UNHCR wird nach Angaben von Herrn Lüthke nicht in der Lage sein, in jedem Falle einer bevorstehenden Abschiebung von Afghanen zu intervenieren, bietet aber an, dass ihm besondere Härtefälle vorgetragen werden können (LUETHKE@unhcr.ch, Tel: 030- 202 202 00, verbinden lassen mit Herrn Lüthke).
Im Anschluss referierte Frau RA Ebrahaim zu sämtlichen Aufenthaltstiteln und deren Sicherheit bzw. Gefährdung für die Inhaber. Das Wesentlichste: Personen, die eine Anerkennung nach Art. 16a oder § 51I und damit einen blauen Flüchtlingspass haben, können in der Regel davon ausgehen auch weiterhin unter gleichen Bedingungen hier weiterzuleben. Mit Rücknahmeverfahren muss im Einzelnen aber gerechnet werden, insbesondere, wenn im Asylverfahren „nur“ Verfolgung durch die Taliban angegeben wurde. Allerdings würde dann nicht einfach der Pass weggenommen, sondern es gebe ein Verwaltungsverfahren, gegen das sich die Betroffenen mit Hilfe eines Rechtsanwaltes wehren können. Auch hätte die Rücknahme der Asylanerkennung nicht zwangsläufig den Entzug der Aufenthaltsgenehmigung zur Folge, insbesondere bei langjährigem Aufenthalt und gesichertem Lebensunterhalt. Eine rechtzeitige Konsultation eines Rechtsanwaltes ist aber dringend geboten. Personen, die sich noch im Asylverfahren befinden, können in Abhängigkeit von der Fluchtgeschichte und dem zuständigen Gericht noch immer Chancen auf eine Asylanerkennung haben. So hat das VG Frankfurt/Oder vor geraumer Zeit zwei Familien anerkannt. Das VG Potsdam dagegen geht derzeit davon aus, dass die Übergangsregierung die staatliche Gewalt praktisch nicht habe oder ausüben könne und es daher auch keine staatliche Verfolgung und damit auch keine Asylanerkennung gebe. Vom VG Cottbus liegen keine neueren Urteile vor. In Fällen, in denen das Bundesamt 2001 seine negativen Bescheide zurückgenommen und Anerkennungen ausgesprochen hatte, der Bundesbeauftragte aber, entgegen der getroffenen Absprache, trotzdem gegen die Anerkennungen geklagt hatte, sieht Frau Ebrahaim relativ gute Erfolgsaussichten, wegen verfahrensrechtlicher Aspekte. Besonders von Abschiebung bedroht sind derzeit alle Inhaber von Duldungen, die bereits ein erfolgloses Asylverfahren hinter sich haben. Auch wenn die IMK weiterhin daran festgehalten hat, dass Rückführungen vor allem freiwillig erfolgen sollen, machten einige Ausländerbehörden doch erheblichen Druck auf Duldungsinhaber. Hier wäre zu prüfen, ob die Möglichkeit der Stellung eines Asylfolgeantrages besteht. Nach dem am 1.1.2005 in Kraft tretenden Zuwanderungsgesetz kann dann auch nichtstaatliche Verfolgung, sowie frauenspezifische Verfolgung zur Asylanerkennung führen. Flüchtlinge, die in ihren ersten Asylverfahren nur deshalb nicht anerkannt wurden, weil die Verfolgung nicht staatlich war, oder die explizit frauenspezifische Verfolgungsgründe angegeben haben, könnten daher die Möglichkeit haben, diese Gründe in einem Folgeverfahren auf Grund der geänderten Rechtslage geltend zu machen. Solche Anträge können bis zum 31.03.2005 gestellt werden. Eine eingehende Beratung bei einem erfahrenen Rechtsanwalt ist dafür aber unumgänglich, da solch ein Antrag sehr gut begründet werden muss.
Herr Lüthke vom UNHCR drückte seine Hoffnung darüber aus, dass die nächste IMK vermutlich Kriterien für eine Bleiberechtsregelung für Afghanen beschließen werde und er aber davon ausgehe, dass ein weiterer Aufenthalt höchstvermutlich an die Sicherung des Lebensunterhaltes gebunden sein wird ( die IMK fand zwischenzeitlich statt, es wurde lediglich beschlossen, dass eine Kommission Kriterien sowohl für die Rückführung als auch für eine Bleiberechtsregelung erstellen soll, mehr ist uns derzeit nicht bekannt). In der sich anschließenden Diskussion wurden vor allem folgende Problemkreise deutlich: es ist den Flüchtlingen völlig unverständlich, warum auch die Karsai-Regierung nicht als staatliche Gewalt hinsichtlich des Schutzes vor Verfolgung anerkannt wird, wenn auf der anderen Seite diplomatische Beziehungen unterhalten werden, Millionen Euro Unterstützung zugesichert werden und ausreisepflichtige Flüchtlinge sich Pässe von genau diesem Staat ausstellen lassen sollen. Weiterhin wird es von de Flüchtlingen als ausgesprochen ungerecht und regelrecht zynisch empfunden, wenn auf Grund der restriktiven Asylpolitik und der hohen Arbeitslosigkeit in Brandenburg faktisch ein Arbeitsverbot für Flüchtlinge und Geduldete besteht, andererseits aber die Sicherung des Lebensunterhaltes eine Bedingung für ein Bleiberecht werden soll. Als besonders schwierig und zermürbend wird es von den meisten Flüchtlingen empfunden, dass sie überwiegend sehr viele Jahre hier sind ( z.T. 8 Jahre und länger), hier ein Zuhause gefunden haben, die Kinder zur Schule gehen und besser deutsch als dari sprechen, die Familien aber noch immer ohne Aufenthalt und damit ohne jede Zukunftsperspektive sind.
Es besteht eine große Bereitschaft vieler Flüchtlinge selbst für ihr Bleiberecht aktiv zu werden und es fand sich im Anschluss an die Veranstaltung eine Gruppe, die weitere Aktionen und Treffen afghanischer Flüchtlinge organisieren will.
Ein erstes solches Treffen fand mit einer kleineren Gruppe Flüchtlinge am 3.9.04 beim Flüchtlingsrat in Potsdam statt und es entstanden Ideen für weitere Aktionen und die Bildung einer afghanischen Flüchtlingsinitiative.
Als besonders wichtig wurde eingeschätzt, dass unbedingt aktuelle und unabhängige Berichte über die Situation in Afghanistan gesammelt werden müssen, auch Augenzeugenberichte von Menschen, die vor kurzem in Afghanistan waren. Diese Informationen sollen dann Gerichten, dem Bundesamt, Ausländerbehörden und Rechtsanwälten zur Verfügung gestellt werden, da die Medienberichterstattung derzeit einseitig ein positives Bild zu zeichnen versucht, welches mit der Realität nicht übereinstimmt. Wer hierzu Ideen hat, oder Informationsmaterial beitragen kann, bitte dringend beim Flüchtlingsrat melden !!
Anfang Oktober soll dann ein weiteres Treffen stattfinden, zu dem wieder alle afghanischen Flüchtlinge eingeladen werden. Näheres dazu über das Büro des Flüchtlingsrates.