h6. Umzug in die Hölle
h6. 30.11.2007 Lausitzer Rundschau
Kaum ein anderes Asylbewerberheim in Brandenburg steht seit Jahren so in der Kritik wie die ehemalige Kaserne in Bahnsdorf im Oberspreewald-Lausitzkreis (OSL). Nach einem Todesfall und mehreren Protestaktionen der Bewohner will der Kreistag das Heim 2009 schließen. Heute sollen dort letztmalig 47 Flüchtlinge für 18 Monate einziehen. Viele wehren sich dagegen.
Mohamed Adnan Alaa vor seinem Zimmer im Asylbewerberheim von Bahnsdorf. Wahid Mirajan Dorani ist erleichtert. Der 18-jährige Afghane, vor vier Jahren nach Deutschland geflüchtet, darf in Großräschen (OSL) eine Plattenbauwohnung beziehen. «Dann kann ich zu Fuß zur Schule gehen» , erzählt er im Aufenthaltsraum des Asylbewerberheims in Sedlitz (OSL). Wahid besucht in Großräschen die Gesamtschule und will dort nächstes Jahr seinen Abschluss machen.
Dem Besuch der Schule hatte Wahid vor drei Jahren schon einmal einen Umzug zu verdanken, über den er sich sehr gefreut hat – vom Asylbewerberheim in Bahnsdorf in das von Sedlitz, fünf Kilometer entfernt und näher an seiner Schule gelegen. In Sedlitz fühlte er sich gleich wohler. Hier gebe es einen Einkaufsmarkt, der seine Wertgutscheine einlöst. Einen Sportverein, den er jederzeit besuchen kann. Einen Bahnhof, der zu Fuß in fünf Minuten zu erreichen ist und von dem Züge im Halbstundentakt nach Senftenberg oder Großräschen fahren. Das Heim hat einen Gemeinschaftsraum mit Fernseher, Zimmer mit Billardtisch und Tischtennisplatte. Die Wohnräume sind ruhig. Bahnsdorf dagegen möchte der schmächtige junge Mann am liebsten aus seinem Gedächtnis streichen. Zimmer im festen Gebäude gebe es dort nur für Familien. Alleinstehende lebten bis vor Kurzem im Container. «Im Sommer heizte der sich auf, im Winter war es kalt. Man konnte jeden Schritt auf dem Flur zu hören.»
Die gefährliche Langeweile im Bahnsdorfer Heim, von der Wahid spricht, bestätigen auch die anderen Asylbewerber, die mit ihm im Gemeinschaftsraum sitzen. Die Messerstechereien mit einem Toten und einem Schwerverletzten vom Juni 2004 und September dieses Jahres (die RUNDSCHAU berichtete) seien nicht die einzigen Ausbrüche von Gewalt gewesen. Eine vietnamesische Mafia, versichern die Asylbewerber, würde neben Zigaretten und Alkohol auch illegale Drogen anbieten, außerdem Wertgutscheine für Lebensmittel unter Wert kaufen.
Dorado für kriminelle Personen
Deshalb habe die Nachricht vom Umzug nach Bahnsdorf die Sedlitzer Heimbewohner entsetzt. 18 Monate sollen sie dort wohnen. So lange dauert der 1,4 Millionen Euro teure Ausbau des Sedlitzer Heims, das danach alle noch rund 140 Flüchtlinge im Landkreis aufnehmen soll.
Der Tschetschene Isa Vahaev (35) sagt: «Ich wäre lieber ins Gefängnis als nach Bahnsdorf gegangen.» Zum Glück gehöre auch er zu den Wenigen, die in eine Wohnung dürfen. Isa zieht nach Lübbenau. Peter Kimani (19) aus Kenia dagegen muss nach Bahnsdorf umziehen.
In einer Petition, in der November-Sitzung des OSL-Kreistages verlesen, haben rund 30 Flüchtlinge angekündigt, den Umzug nicht mitzumachen. Das Bahnsdorfer Heim liege im Wald, eine halbe Stunde Fußweg vom Bahnhof entfernt. Im Ort gebe es keine Einkaufsmöglichkeit. Fahrten zu Geschäften und Ämtern könnten von 40 Euro Taschengeld, die Asylbewerber bekommen, kaum bezahlt werden. Einkäufe seien für Mütter mit Kindern eine Tortur, da sie Gutscheine nur in zwei Geschäften in Senftenberg einlösen können. Für die Verfasser der Petition ist das Heim ein «Gefängnis» .
Die Großräschener Pfarrerin Dorothee Lange-Seifert war im Bahns dorfer Heim seelsorgerisch tätig und spricht von «einem Ort der Hölle» . Kinder haben ihr von Raufereien und Polizeieinsätzen erzählt. Die Pfarrerin selbst sei in ihrem Auto von der Bundespolizei durchsucht worden.Gesprächen mit Bewohnern der Unterkünfte musste sie entnehmen, dass «die spezielle Lage der Einrichtung ein Dorado für Zigarettenhändler, Drogenschmuggler und andere kriminelle Personen war» .
Polizeisprecher Ralph Meyer vom Schutzbereich Oberspreewald-Lausitz ist davon nichts bekannt. Er weiß von den Messerstechereien. Sonst aber unterscheide sich das Bahnsdorfer Heim nicht von anderen. Wer es besucht, sieht ausgediente Wohncontainer, die auf den Abtransport warten. Zwei lang gestreckte Barackenbauten sind spärlich bewohnt. Unter anderem von Mohamed Adnan Alaa. Er lädt in sein Zimmer. Ein Bett, ausgetretener Teppich, billige Möbel. Im Fernseher läuft eine Quiz-Show. Der 23-jähriger Iraker holt aus der Gemeinschaftsküche zwei Töpfe und tischt Essen auf. Er freut sich über Gäste, über Abwechslung in seinem öden Alltag. Bis vor ein paar Tagen, erzählt er, konnte er seinen Nachbarn besuchen. «Der hatte eine Playstation.» Doch als der Jordanier den Termin für seine Abschiebung bekam, sei er verschwunden. Nun langweilt sich Mohamed noch mehr. Seine einzige Lektüre ist ein völlig zerlesenes Deutsch-Arabisch-Wörterbuch. Der Iraker spare jeden Cent, um so oft als möglich Eltern und Geschwister in Düsseldorf besuchen zu können. Jede Fahrt muss die Ausländerbehörde genehmigen.
Gekränkte Bahnsdorfer
Auf dem Kasernen-Areal steht außerdem ein dreigeschossiger Plattenbau. Früher wohnten hier russische Offiziere, heute vietnamesische Flüchtlingsfamilien. Zwei Schüler des Gymnasiums Senftenberg, Thu (13) und Bruder Tuan (15) erzählen in akzentfreiem Deutsch von ihrem langen Schulweg und der Angst vor der Abschiebung. «Immer für sechs Wochen», so die Mutter, die seit 14 Jahren in Deutschland lebt, bekomme sie ihre Duldung verlängert.
Die Bahnsdorfer hat die Kritik am «Gefängnis» in ihrem Dorf gekränkt. «Wir leben doch auch hier» , sagt Ortsbürgermeisterin Simone Abt, die den Ruf der 650-Einwohnergemeinde beschädigt sieht. Dabei gebe es gute Kontakte zwischen Dorf- und Heimbewohnern. Sogar eine ehrenamtliche Kinderbetreuung für das Heim haben die Bahnsdorfer organisiert. Allerdings haben die Flüchtlinge eine Kinderbetreuerin schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Und den langen Weg zur Haltestelle müssen sie gehen. Die wenigsten haben ein Fahrrad, niemand ein Auto. Dafür verspricht Landrat Georg Dürrschmidt (CDU) den Sedlitzer Umzüglern Wohnungen mit eigenem Bad und eigener Küche. Dass es in Bahnsdorf keine 47 Wohnungen mit Bad und Küche gibt, räumt er ein: «Wohnungen bekommen nur die zehn Asylbewerber, die im Sedlitzer Heim regelmäßig anwesend waren.»
Die anderen 37 hätten die meiste Zeit «irgendwo» bei Verwandten oder Bekannten verbracht, so Dürrschmidt. Meist nur bei der Geld- und Wertgutschein-Ausgabe würden sie in Sedlitz auftauchen. Diesen häufig Abwesenden würden in Bahnsdorf nur Baracken-Zimmer angeboten – mit Gemeinschaftsbad und -küche. Mohamed, der junge Iraker, dürfte sich freuen über neue Nachbarn, die mit ihm die Langeweile teilen. Zum Thema Mehr Asylbewerber in Wohnungen untergebracht
Die Zahl der Flüchtlinge in der Region ist stark rückläufig: Von 2110, die noch im Jahr 2005 in den Landkreisen Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz (OSL), Spree-Neiße (SPN), Niederschlesische Oberlausitz (NOL), Dahme-Spreewald (LDS) und in Cottbus lebten, sank sie auf aktuell rund 990.
Gründe dafür sind die Erweiterung der EU-Außengrenze und ein neues Bleiberecht , das vielen Asylbewerbern eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis gebracht hat.
Im Zuge des Rückgangs der Flüchtlingszahl wurden größere Asylbewerberheime geschlossen oder stehen vor der Schließung. Zugleich quartieren die Landkreise mehr Asylbewerber in Wohnungen ein, meist Familien, die schon länger in Deutschland leben.
Im Elbe-Elster-Kreis sind das 31 von 127 Flüchtlingen, im NOL-Kreis 24 von 92. Der Landkreis LDS hat mittlerweile ein Drittel der Flüchtlinge (309) in Wohnungen untergebracht Cottbus (205) mehr als Zweidrittel.
Im Spree-Neiße-Kreis leben erst seit kurzem wieder deutlich mehr Flüchtlinge im Heim (129) als in Wohnungen (8). Aufgrund des neuen Bleiberechts bekamen bis Oktober 2007 45 Asylbewerber in Wohnungen eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis und gelten nun nicht mehr als Flüchtlinge.
Von Daniel Preikschat