h6. Offener Brief des Flüchtlingsrats Brandenburg an alle Fraktionen im Potsdamer Landtag
Sehr geehrte Damen und Herren,
nun ist bald Landtagswahl in Brandenburg.
Als WählerInnen und Wähler, die sich besonders mit der Thematik Asyl und Flucht – und hierbei im Besonderen mit den Lebensbedingungen von Flüchtlingen im Land Brandenburg – beschäftigen, möchten wir gern darüber informiert werden, wie ihre Partei zu den unten folgenden Fragen steht.
1.) Seit 1994 erhalten die Flüchtlinge im Land Brandenburg Sachleistungen. Es wurden lange und ausführlich Argumente ausgetauscht, wie diskriminierend und ausgrenzend diese Form der Hilfegewährung ist. Wir als Flüchtlingsrat hoffen aber, dass noch mehr Kommunen dem Beispiel der Städte Potsdam und Brandenburg folgen und Sozialhilfe in Form von Geld auszahlen. Wie steht Ihre Partei zu dem Thema „Sachleistungen“?
2.) Das jahrelange Leben in Heimen, auf 6 qm Wohnfläche, ohne Privatsphäre, ohne Integration, ohne qualifizierte Sprachkurse, ohne Arbeit und Ausbildung, ohne Zukunftsperspektiven, wird von den Flüchtlingen als menschenunwürdig empfunden. Bei vielen führt es zu Resignation, Depression, Erkrankungen. Eine großzügigere Auslegung des Asylverfahrensgesetzes für eine selbstverständlichere Unterbringung in Wohnungen ist möglich und würde das leben für Flüchtlinge menschenwürdiger gestalten. Was kann Ihre Partei politisch erwirken, damit Flüchtlinge nicht mehr jahrelang in oftmals abgelegenen Gemeinschaftsunterkünften leben müssen?
3.) Wir begrüßen die Initiative der Ausländerbeauftragten des Landes Brandenburg, für Menschen mit besonders schwerem Schicksal einen Härtefallbeirat ins Leben gerufen zu haben. Dies setzt jedoch nicht die Notwendigkeit einer Härtefallkommission aus. Nun ist das Zuwanderungsgesetz beschlossen.
Wird sich Ihre Partei für die Einrichtung einer Härtefallkommission einsetzen? Wie sollte diese zusammengesetzt und wo angegliedert sein?
4.) Die Beschränkung des Aufenthaltes auf den Landkreis (die so genannte Residenzpflicht) ist ebenfalls im Asylverfahrensgesetz verankert. Hier werden die Rechte der Flüchtlinge massiv beschnitten.
Kann sich Ihre Partei vorstellen, eine Gesetzesinitiative zu starten, um die Residenzpflicht abzuschaffen? Kann sich Ihre Partei vorstellen, bis dahin die Ausländerbehörden anzuhalten, das bestehende Recht möglichst großzügig auszulegen?
5.) Die jahrelange andauernde Verurteilung zum Nichtstun wird durch das restriktive Arbeitserlaubnisrecht hervorgerufen. Das Land Berlin hat gezeigt, dass es auch für Asylsuchende im Asylverfahren möglich sein kann, eine Ausbildung oder ein Studium aufzunehmen, diesem Vorbild sollten wir dringend folgen.
Was kann sich Ihre Partei im Bereich Bildung und Arbeit vorstellen, für Flüchtlinge und Asylsuchende zu unternehmen?
6.) Mit der Gesundheitsreform gab es weitere massive Einschränkungen in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen. Ein großes Problem stellt der Zugang zu Psychotherapien für traumatisierte Flüchtlinge da. Neben konstruktiveren Absprachen zwischen Sozialämtern und Krankenkassen benötigen wir im Land Brandenburg Ärzte und Psychologen, die traumatisierte Menschen behandeln. Die Initiative, auch in Brandenburg ein Behandlungszentrum für gefolterte Menschen zu schaffen, sollte unterstützt und gefördert werden. Umverteilungsanträge in die Nähe der behandelnden Psychologen dürfen in Zukunft nicht mehr an Formalien und bürokratischen Geldvergaben scheitern. Wird sich Ihre Partei für die Einrichtung eines brandenburgischen Behandlungszentrums einsetzen? Können Flüchtlinge und Asylsuchende auf die Hilfe Ihrer Partei zählen, wenn es immer wieder zu Verweigerung von Leistungen im medizinischen Bereich kommt?
7.) Der Flüchtlingsrat unterstützt jetzt seit mehr als zwei Jahren die Bleiberechts-Kampagne von Pro Asyl. Menschen, die lange Jahre hier auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten oder wegen Bürgerkrieg oder unverschuldeter Passlosigkeit nicht abgeschoben werden können, sollen nach spätestens 5 Jahren ein Bleiberecht erhalten. Namhafte Persönlichkeiten haben den Aufruf von Pro Asyl unterstützt.
Wie verhält sich Ihre Partei zum Thema „Bleibrecht“? Unterstützen auch Sie die Kampagne oder stellt Ihre Partei eigene Forderungen für ein Bleibrecht lang hier lebender Flüchtlinge und Asylsuchender auf?
8.) Die Flüchtlinge benötigen in ihrer schwierigen menschlichen und rechtlichen Situation eine qualifizierte und engagierte Unterstützung und Beratung. Hier wünschen wir uns neben einer Finanzierung durch das Land, die zum Teil schon gewährleistet wird, eine Festsetzung und Kontrolle von Qualitätsparametern der sozialen Arbeit.
Wie steht Ihre Partei zu dem Thema soziale Beratung und Sicherung der Qualität dieser Arbeit? Wird sich Ihre Partei für die Einrichtung qualifizierter Beratungsstellen einsetzen?
9.) Und schließlich unser letztes, aber bei weitem nicht unwichtigstes Anliegen, betrifft den Wunsch auf eine Veränderung des Klimas in unserem Land. Wir müssen es im Interesse von uns Allen schaffen, dass Fremde in unserem Land willkommen geheißen und akzeptiert werden. Die Politiker spielen dabei eine nicht unwichtige Rolle. Leider fehlt schon hier größtenteils eine Lobby für Flüchtlinge und ein verständnisvoller Umgang mit dem Thema. Wenn Flüchtlinge als störend, teuer, Problem machend und unwillkommen angesehen und Fluchtursachen nicht reflektiert werden, spiegelt sich das auch in der gesamten Bevölkerung wider. Sicher würde es den Flüchtlingen als potentielle Wähler auch zu einer größeren Lobby bei den Politikern verhelfen.
Wie steht Ihre Partei zu dem Thema Ausländerwahlrecht?
Wir wären Ihnen dankbar, wenn Ihre Partei uns über diese Punkte informieren könnte.
Wir bedanken uns und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Judith Gleitze
für den Flüchtlingsrat Brandenburg