Bestellformular„Keine Bewegung“
Aus Anlass des „Internationalen Tags gegen Rassismus“ am 21. März haben der Flüchtlingsrat Brandenburg und die Humanistische Union auf einer Pressekonferenz den Report „Keine Bewegung! Die Residenzpflichtgesetze für Flüchtlinge – eine Bestandsaufnahme“ vorgestellt.
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Presse

Die Autorin, die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders, stellte darin nach umfangreichen Recherchen in Brandenburg und anderen Bundesländern die alltäglichen Auswirkungen der so genannten Residenzpflicht dar. Nach dieser Vorschrift ist es Asylsuchenden und Geduldeten untersagt, ohne schriftliche Erlaubnis den Wirkungskreis der zuständigen Ausländerbehörde zu verlassen. Verstoßen sie dagegen, so machen sie sich strafbar und werden mit Geld- oder Freiheitsstrafen belegt.
Mit zahlreichen „Fallbeispielen“:https://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/wp-content/uploads/2009/03/Fallsammlung.pdf und Informationen aus erster Hand werden in der Broschüre die inhumanen und sozial schädlichen Lebenseinschränkungen durch diese Regelung veranschaulicht. Besonders gravierend ist die Situation im Landkreis Uckermark, wo nach Recherchen von Selders 48 % der Aufgriffe wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht in Brandenburg erfolgen. Mit den Worten „Du bist kein Tourist“ verweigerte die Ausländerbehörde in Prenzlau Z. L., einem Asylbewerber aus Kamerun, wiederholt einen „Urlaubsschein“, wie die Verlassenserlaubnis im Jargon genannt wird. Fünf Mal wurde Z. L. bisher mit Strafen belegt. So wie ihm geht es Tausenden.
Die Autorin kommt zum Schluss, dass diese weithin unbekannte Vorschrift eine Menschenrechtsverletzung darstellt. „Wenn einer Gruppe von Menschen elementare Grundrechte verweigert werden,“ so Selders, „nimmt die Demokratie Schaden.“ Als Lösung komme nur die ersatzlose Abschaffung dieser Regelung in Frage.
h5. Inhalt
h5. Reportagen
bq. „Die Leute denken, wir kommen hierhin, müssen nicht arbeiten und kriegen alles geschenkt. Die wissen gar nicht, was los ist!“
Holzbachtal im Enzkreis, Baden-Württemberg. Der Flüchtling Kebba Kanteh aus Gambia lebt hier völlig isoliert in einem ehemaligen Hotel im Wald. Er kommt an keine englischsprachige Zeitung, ohne Sondergenehmigung der Ausländerbehörde. Die Städte Pforzheim und Karlsruhe sind nah aber für ihn tabu. Sechs Monate Haftstrafe hat er hinter sich wegen wiederholtem Verstoß gegen die ‚Residenzpflicht‘.
h5. Wer den Bahnhof betritt, macht sich schon verdächtig
Plauen in Sachsen war bis August 2008 kreisfreie Stadt, der Aufenthalt nur im Stadtgebiet erlaubt. Hier lebt Frau Madeva mit Ehemann und Kindern. 2003 ist die Familie aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen. 2007 wurde Frau Madeva als Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ihre maßgeblichen Vergehen: Verstoß gegen die ‚Residenzpflicht‘. Inzwischen ist sie als Flüchtling anerkannt, aber reisen darf sie immer noch nicht.
h5. „Gefährlicher Straftäter gefasst!“ – oder: Der unbedingte Wille zu kriminalisieren
Prenzlau in der Uckermark, Brandenburg. Hier werden Asylsuchende regelrecht von er Polizei verfolgt. Der sudanesische Flüchtling Mohammed El Hadi erzählt die Geschichte von schikanösen Polizeikontrollen und Wertgutscheinen, mit denen man keine Geldstrafen bezahlen kann.
h5. Das Gesetz
h5. Buchstabe und Charakter des Gesetzes
Allgemeinverständliche Erläuterung des Gesetzes und der Ausnahmeregelungen.
h5. „Ein Urteil jenseits der Realität“. Die räumliche Aufenthaltsbeschränkung vor dem Bundesverfassungsgericht
1997 erklärte das Bundesverfassungsgericht die ‚Residenzpflicht‘ für verfassungskonform. In einem Interview erläutert Werner Schwamb den Karlsruher Beschluss und die weitreichenden Folgen für die Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichtes. Werner Schwamb war Jugend- und Familienrichter am Amtsgericht Kirchhain, das 1992 die Überprüfung des Gesetzes in Karlsruhe beantragte. Heute ist er Richter am Oberlandesgericht in Frankfurt/Main und Mitglied der Neuen Richtervereinigung.
h5. Der Straßburger Zirkelschluss. Die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Marei Pelzer, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl erläutert im Interview die tautologische Argumentation des Straßburger Gerichtshofes.
h5. Die Abschreckungsdoktrin und ihre Nachwirkungen
Was als Abschreckung gedacht war, ist inzwischen zur Norm geworden. Diese beunruhigende Entwicklung wird hier beispielhaft nachgezeichnet. Außerdem geht es um die Annahmen, die dem Abschreckungsgedanken zugrunde liegen – Asylbetrug, Missbrauch von Sozialleistungen, kriminelle Absichten – und deren Einfluss auf die Entscheidungen von Ausländerbehörden.
h5. Isolation, Kontrolle und Rassismus
Interview mit dem Sozialwissenschaftler Christopher Nsoh. Er kam als Asylsuchender in die BRD und lebte fünf Jahre mit diesem Status und den Auflagen der räumlichen Beschränkung im brandenburgischen Rathenow. Er ist Mitbegründer der Flüchtlingsinitiative Brandenburg FIB und analysiert die Erfahrungen mit der ‚Residenzpflicht‘.
h5. Die Behörde
h5. Parzellen und Wegezoll
Wer in Brandenburg von Ost nach West oder Süd nach Nord will, muss durch Berlin und macht sich ohne Sondergenehmigung strafbar. Ähnliche Transitstrecken gibt es überall in der Bundesrepublik. Von vielen Ausländerbehörden wird eine Gebühr für die Verlassenserlaubnis erhoben, die bereits ein Viertel des Bargeldbudgets eines Flüchtlings verschlingt.
h5. Umfassende Befugnisse
Die Ausländerbehörde entscheidet nicht nur über die Erlaubnis, den Landkreis zu verlassen, sie entscheidet auch über die Art der Sanktionierung und weitere Folgen
h5. Die Erteilung der Verlassenserlaubnis
Wer und warum eine Erlaubnis bekommt ist undurchsichtig. Aus verschiedenen Quellen werden hier Informationen über das Verfahren zusammengetragen…
h5. Rechtsanspruch? Eine Frage des Glücks
… und durch Selbstauskünfte brandenburgischer Landkreise und die unterschiedliche Handhabung in den Bundesländern ergänzt. Die Willkür der Verfahrenspraxis wird hier sehr deutlich.
h5. Kontrollieren und disziplinieren
Zum Verfahren gehört die Überprüfung der Gründe, die Flüchtlinge beim Antrag auf Verlassenserlaubnis angeben. Hier wird das Verfahren beschrieben.
h5. Menschen vor und hinter dem Schalter
Der tiefgreifende Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Behördenbediensteten und Flüchtlingen
h5. Unzumutbares Verfahren oder: Wie kriminelle Ausländer gemacht werden
Allein die Hürden des Antragsverfahrens führen dazu, dass viele Flüchtlinge das Risiko der Kriminalisierung eingehen.
h5. Auswirkungen I:
h5. „Es ist wie Mobbing“ – Wirkungen auf Traumatisierte
Etwa 40 Prozent der Asylsuchenden leiden nach neuesten Untersuchungen an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Psychotherapeutin Ruth Bierich berichtet in einem Interview von den Auswirkungen der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung auf ihre Patienten und Patientinnen. Sie arbeitet seit 1997 im Berliner Verein Osteuropa Kultur e.V. therapeutisch mit bosnischen Kriegsflüchtlingen und seit acht Jahren als französischsprachige Therapeutin in der Berliner Einrichtung Xenion – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte, die aus Mitteln der EU, des UNHCR und verschiedener Stiftungen finanziert wird.
h5. Die Polizeikontrolle
h5. Erfolgreich durch Ressentiments
Anhand von Beispielen diskriminierender Polizeikontrollen wird gezeigt, wie die ‚Residenzpflicht‘ Polizeibeamte und –beamtinnen für Ressentiments, die am Anfang einer Kontrolle stehen, belohnt
h5. Und so die Stereotypenbildung fördert.
h5. Illegalität, Schleierfahndung und ‚Residenzpflicht‘
Die Auswertung von Polizeilichen Kriminalstatistiken zeigt, dass ein großer Teil der Arbeit der Bundespolizei im Anzeigen von „Residenzpflicht-Brechern“ besteht.
h5. Institutioneller Rassismus
Interview mit Martin Herrnkind, Diplomkriminologe, Polizeiforscher, Beamter der Schutzpolizei und Mitglied der Fachkommission Polizeirecherche von Amnesty International. Er erläutert das Wirken von Gesetzen wie der ‚Residenzpflicht‘ als institutioneller Rassimus.
h5. Konflikte und Gewalt
Kritisieren Flüchtlinge die ständigen Polizeikontrollen als rassistisch und schikanös, so kommt es immer wieder zu Übergriffen durch die Beamten.
h5. Auswirkungen II
h5. „Die Kontrolle ist vor allem eine psychische“. Zur Situation von Frauen
Im Durchschnitt wurden in den letzten Jahren 30 Prozent der Asylanträge von Frauen gestellt. Bei den Verurteilten wegen wiederholten ‚Residenzpflicht‘-Verstößen ist der Frauenanteil auffallend viel niedriger und liegt bei etwa 8 Prozent. Im Interview erläutert die Gesundheitswissenschaftlerin Florence Sissakou, Begründerin der brandenburgischen Organisation Women in Exil, die geschlechtsspezifischen Unterschiede, wie sie sie selbst als Flüchtling erlebte und in der langjährigen Arbeit von Women in Exil kennengelernt hat.
h5. Die Verurteilung
Das Gesetz ist eine Norm, die so wenig nachvollziehbar ist, dass ihr kein Unrechtsbewusstsein entspricht. Die Spirale immer höher werdender Strafen ist vorprogrammiert. Von 1982 bis 2006 (jüngere Strafverfolgungsstatistiken liegen noch nicht vor) gab es mindesten 160.000 Strafverfahren wegen wiederholtem Verstoß gegen die ‚Residenzpflicht‘. In diesem Kapitel werden die verschiedenen Statistiken ausgewertet, um zu einer Einschätzung der Zahl von Verurteilungen und von verbüßten Haftstrafen zu kommen.
h5. Kriminalisierte Flüchtlinge – Beispiel Brandenburg
In Brandenburg hat die Hälfte aller Asylsuchenden bereits einen Straftatbestand, wenn sie die Erstaufnahmeeinrichtung verlassen.
h5. Überforderte Gerichte
Etwa 30 – 40 % aller Verurteilungen sind falsch. Wie kommt es zu der hohen Zahl und welche Auswirkungen haben diese fehlerhaften Urteile auf die Betroffenen?
h5. Abzahlen von Geldstrafen
Asylsuchende verfügen über einen sehr geringen Bargeldbetrag, Geduldete oft über gar kein Bargeld mehr. Wie sollen unter diesen Bedingungen Geldstrafen gezahlt werden?
h5. Spätfolgen der Kriminalisierung: Verweigerte Aufenthaltsrechte und Ausweisung
Straffälligkeit ist ein Grund für den Ausschluss aus der Bleiberechtsregelung oder der Härtefallkommission. Hierfür und für andere Spätfolgen werden einige Beispiele dargestellt.
h5. Auswirkungen III
h5. Gefangen im Umfeld der Täter
Kurze Darstellung der Folgen für Opfer rassistischer und häuslicher Gewalt, die ohne Verlassenserlaubnis der Behörde den Ort der Gewalterfahrung nicht verlassen dürfen.
h5. Auswirkungen auf die Gesellschaft
h5. Der Staat als Negativ-Vorbild
Appelle an die „Zivilgesellschaft“, an die „Zivilcourage“ der Einzelnen gehören seit Jahren zu jeder offiziellen Rede, wenn es um das Thema Fremdenfeindlichkeit oder rassistische Gewalt geht. Sie und die entsprechenden Programme stehen in scharfem Kontrast zu dem Signal, das von der staatlichen Umgangsweise mit Asylsuchenden ausgeht, die in den neuen Bundesländern den größten Teil der ‚Fremden‘ ausmachen und bundesweit seit den 1980er Jahren zu einem zentralen Kristallisationspunkt xenophober Abwehrhaltung geworden sind. Hier wird dieser Widerspruch an verschiedenen Beispielen deutlich gemacht.
h5. Die Polizei gibt Stigmatisierungszeichen
Die Bunderegierung negiert die Tatsache diskriminierender Polizeikontrollen, bekannt als „racial profiling“, während die UN-Deklaration von Durban alle Staaten dazu aufruft, etwas dagegen zu unternehmen.
Im Interview erläutert der Politologe Hajo Funke den Zusammenhang zwischen diskriminierenden Polizeikontrollen und rassistischer Gewalt. Der Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin hat in verschiedenen Publikationen die Wechselwirkung zwischen der Politik etablierter Parteien und extrem rechten Einstellungen in der Bevölkerung analysiert.
h5. Ein Lackmustest für die Demokratie
„Institutioneller Rassismus ist letztlich der Lackmustest für die Demokratie einer Gesellschaft“, schreibt A. Sivanandan vom Londoner Institute of Race Relations. Hier geht es um den Schaden, den die Demokratie durch Gesetze wie die ‚Residenzpflicht‘ nimmt und die Gefahr der Ausdehnung einer solchen Praxis auf andere gesellschaftliche Gruppen. Osaren Igbinoba, Sprecher der Flüchtlingsorganisation The VOICE erläutert in dem Zusammenhang die Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen die ‚Residenzpflicht‘.
h5. Vom ‚Recht auf Rechte‘
Gespräch mit der Psychologin und Gesellschaftstheoretikerin Birgit Rommelspacher über die europäische Abschottung, Asylpolitik als „Inszenierung rassistischer Fantasien“, den Verlust an demokratischer Kultur durch Gesetze wie die ‚Residenzpflicht‘ und die Zukunft der Menschenrechte.