epd-OST/Flüchtlinge/Brandenburg
h6. Potsdam: Flüchtlingsrat kritisiert Abschiebungen von Tschetschenen
Potsdam (epd). Der Flüchtlingsrat Brandenburg hat einen besseren Schutz für tschetschenische Flüchtlinge in Deutschland gefordert und Abschiebungen aus Brandenburg kritisiert. Seit dem EU-Beitritt Polens und Tschechiens würden Tschetschenen sofort nach dem Grenzübertritt festgenommen, in die Abschiebehaft nach Eisenhüttenstadt gebracht und gemäß Dubliner Abkommen in das erste EU-Land zurück geschickt, das sie betreten haben, teilte der Flüchtlingsrat am Montag in Potsdam mit.
Mit den Abschiebungen nach EU-Recht entziehe sich Deutschland der Verantwortung für die Flüchtlinge, kritisierte der Flüchtlingsrat weiter. Während in Österreich 94 Prozent der tschetschenischen Flüchtlinge als Asylbewerber anerkannt würden, seien es in Deutschland nur 32 Prozent. Die Flüchtlingszahlen in Deutschland hätten sich seit Kriegsbeginn verzehnfacht, 2003 seien bundesweit 1.754 Asylanträge von Tschetschenen gestellt worden.
Statt ein menschenwürdiges Ende der Flucht zu finden, würden die nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge zwischen Gefängnissen und Lagern hin und her geschoben, Familien würden getrennt und in die „absolute Perspektivlosigkeit“ gedrängt, erklärte der Flüchtlingsrat. Im brandenburgischen Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt sind den Angaben zufolge in der Regel ständig zehn bis 30 Tschetschenen inhaftiert.
Die Männer seien im Abschiebegewahrsam untergebracht, Familienangehörige würden im Aufnahmelager festgehalten, sagte Vera Everhartz vom Flüchtlingsrat auf epd-Anfrage. Aus Angst vor einer zwangsweisen Rückkehr in die Bürgerkriegsregion im Kaukasus würden viele trotz schwerwiegender Gesundheitsprobleme Haftunterbrechungen bei Entbindungen und anderen Anlässen häufig zum Untertauchen in die Illegalität nutzten. Die russischen Kriege in Tschetschenien, die vor zehn Jahren am 11. Dezember 1994 begannen, gelten nach Angaben des Flüchtlingsrates als längster und blutigster Militärkonflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Heute sei das Land geprägt von gezielten Verhaftungen, Folterungen und illegalen Hinrichtungen. (6729/06.12.2004)
epd ost yj mg
MAZ 11.12.2004
h6. Kritik an Umgang mit Tschetschenen
Flüchtlingsrat rügt Behörden
POTSDAM
Zehn Jahre nach Beginn der Kriege in Tschetschenien hat die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ die Bundesrepublik Deutschland und andere Staaten Westeuropas zu einem besseren Schutz von Flüchtlingen aus der Krisenregion im Nordkaukasus aufgerufen. Die Verweigerung der Aufnahme sowie Abschiebungen in die osteuropäischen EU-Staaten widersprächen Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen, kritisierte die Menschenrechtsverteidigerin Libkhan Basaeva gestern in Potsdam. „Memorial“ war am Vortag in Stockholm mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden.
Deutschland müsse das nach EU-Recht mögliche so genannte „Selbsteintrittsrecht“ wahrnehmen, auf Rückschiebungen in die Ersteinreiseländer verzichten und einen eigenständigen Schutz für Flüchtlinge gewähren, forderten auch die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft und der Flüchtlingsrat Brandenburg. Notwendig sei zudem eine Änderung des Asylrechts, durch die traumatisierte Flüchtlinge nach österreichischem Vorbild grundsätzlich Abschiebeschutz erhalten sollen.
In Brandenburg würden seit August verstärkt tschetschenische Flüchtlinge an der Oder aufgegriffen und in die Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt gebracht. Dieses Vorgehen gegen Kriegsopfer widerspreche humanitärem Handeln, rügte Judith Gleitze vom Flüchtlingsrat. Die osteuropäischen Länder könnten auf Grund der schlechten Wirtschaftslage keine ausreichende Unterstützung gewähren und seien überfordert, so Ekkehard Maaß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft.
Der Flüchtlingsrat forderte das Land Brandenburg auf, bei der Innenministerkonferenz eine humanitäre politische Lösung zu unterstützen.
Nach Informationen von Maaß halten sich derzeit 30 000 bis 35 000 tschetschenische Flüchtlinge in Westeuropa auf. epd/MAZ
Freitag 10. Dezember 2004, 15:16 Uhr
h6. Flüchtlingsrat fordert Schutz für tschetschenische Flüchtlinge
Potsdam (ddp-lbg). Zum Tag der Menschenrechte hat der Brandenburger Flüchtlingsrat die Behandlung tschetschenischer Flüchtlinge kritisiert. Kaum in Brandenburg angekommen, landeten die Flüchtlinge in der Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt, sagte Flüchtlingsratsprecherin Judith Gleitze am Freitag in Potsdam. Viele der Männer und Frauen seien extrem traumatisiert und hätten panische Angst, zurückgeführt zu werden. Derzeit befänden sich acht Personen in der Abschiebehaft.
Seit August kämen vermehrt tschetschenische Flüchtlinge nach Brandenburg, berichtete Gleitze. Hintergrund seien die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Heimatland, in dem immer mehr Zivilisten von Folter und Tod bedroht seien.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) müsse sich bei der Innenministerkonferenz im Juni nächsten Jahres für einen angemessenen Schutz tschetschenischer Flüchtlinge in Deutschland einsetzen, forderte Gleitze. Dazu gehöre ein neuer Paragraph im Asylrecht, der stark traumatisierte und schwerkranke Flüchtlinge vor der Abschiebung bewahre.
Tagesspiegel 12.12.2004
h6. Menschenrechtlerin hat wenig Hoffnung für Tschetschenien
Von Sandra Dassler
Nasran/Potsdam – Fast ein wenig traurig nimmt Libkhan Basaeva die Glückwünsche einiger Journalisten entgegen. In Russland könne ihr das nicht passieren, sagt sie, denn dort wisse fast niemand, dass die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ am Donnerstag in Stockholm mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Seit fünf Jahren arbeitet die Tschetschenin für die russischen Menschenrechtler – anlässlich des zehnten Jahrestages des ersten Tschetschenienkriegs ist sie nach Potsdam gekommen, um auf die katastrophale Lage ihrer Landsleute aufmerksam zu machen. Libkhan Basaeva ist Leiterin des Memorial-Büros in Nasran, einer Stadt in Inguschetien, in der noch immer viele Flüchtlinge aus dem benachbarten Tschetschenien leben. Inzwischen seien sie aber auch dort nicht mehr vor Übergriffen der russischen Armee sicher, erzählt die unter anderem von der Gesellschaft für bedrohte Völker ausgezeichnete Menschenrechtlerin: „Unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung finden immer wieder Razzien statt, bei denen auch Kinder und Frauen nicht verschont werden. Es kann jeden treffen.“
Aus diesem Grund nehme die Zahl der Flüchtlinge aus Tschetschenien permanent zu, sagt Basaeva, und bestätigt eine Einschätzung des Flüchtlingsrats Brandenburgs. Seit August dieses Jahres würden an der Oder immer häufiger Tsche- tschenen aufgegriffen und sofort in Abschiebehaft genommen. Die meisten von ihnen müssten nach Polen zurück, wo ihnen jahrelanger Aufenthalt in schlecht ausgestatteten Lagern drohe.
Außerdem seien fast alle Flüchtlinge traumatisiert. „Jeder von ihnen hat in der Heimat Schreckliches erlebt“, sagt Basaeva. Auch für die Tschetschenen, die an der deutschen Grenze aufgegriffen und zurückgeschoben werden, gebe es kaum Möglichkeiten der psychologischen Betreuung. Menschenrechtsorganisationen sehen darin einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, nach der traumatisierte Flüchtlinge nicht abgeschoben werden dürften.
Basaeva hat wenig Hoffnung auf eine humane Lösung des Flüchtlingsproblems durch die westeuropäischen Staaten. Russlands Strategie, alle Tschetschenen als Terroristen abzustempeln, sei aufgegangen, meint sie: „Nach dem Geiseldrama von Beslan kann Putin alles rechtfertigen. Der Terrorismus, den auch Memorial aufs Schärfste verurteilt, nutzt den Machthabern in Moskau.“ Dass sich an der russischen Tschetschenien-Politik in nächster Zeit etwas ändern könnte, glaubt sie nicht. Nach Moskauer Lesart habe das Land ja eine gewählte Regierung.